Analyse: Euro-Rettung - eine Frage von Leben und Tod?
Berlin (dpa) - Solange sie lebt. So lange werde Deutschland nicht für die Schulden anderer EU-Staaten haften. So habe es die Kanzlerin in einer nichtöffentlichen Sitzung der FDP-Fraktion gesagt, berichten Teilnehmer.
Launig und nicht ganz wörtlich habe Angela Merkel das gemeint, reichten Koalitionäre rasch nach. Doch da ist der Satz schon um die halbe Welt gegangen und der Spott in der Opposition groß.
Dass es der CDU-Chefin mit der Bewältigung der Staatsschuldenkrise in Europa bitter ernst ist, macht sie am Mittwoch in einer Regierungserklärung klar. Zwar sagt sie nicht, dass es Eurobonds nur über ihre Leiche gäbe. Doch einen Tag vor dem EU-Gipfel stemmt sie sich gegen Pläne einer einflussreichen Gruppe um EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, Schulden mittelfristig zu vergemeinschaften.
Merkel klagt, Eurobonds - durch solche gemeinsamen Staatsanleihen zu gleichen Zinsen würde das finanzstärkere Deutschland aus ihrer Sicht schlechter gestellt - seien verfassungsrechtlich nicht möglich, ökonomisch falsch und kontraproduktiv. „Gleiche Zinssätze durch Eurobonds politisch zu erzwingen, wäre die Wiederholung eines alten Fehlers und nicht die richtige Lehre“, warnt sie.
„Wir wünschen Ihnen ein sehr langes Leben“, ruft die Grünen-Abgeordnete Priska Hinz der Kanzlerin in der Debatte im Bundestag zu und fügt an: „Aber Sie sollten es wirklich nicht an die Eurobonds knüpfen.“ Merkel blättert auf der Regierungsbank demonstrativ in Unterlagen und packt sie in ihre knallorange Umhängetasche. Sie muss nach Paris zu ihrem Widersacher, den sozialistischen Präsidenten François Hollande. SPD und Grüne sind sich sicher, dass Merkel ihre harte Haltung gegen den großen Widerstand gewichtiger EU-Staats- und Regierungschefs nicht durchhalten kann. Zwei Fakten sprechen dafür.
Erstens: Merkel sagt seit Monaten offen, dass eine gemeinsame Haftung höchstens am Ende des Weges stehen könne. Am Ende des Weges bedeutet eben nicht am Ende des Lebens. Die Kanzlerin will aber zuvor erreichen, dass sich die Staaten auf eine gemeinsame Politik und eine schärfere Aufsicht einigen. „Gemeinsame Haftung erst dann, wenn eine ausreichende Kontrolle gegeben ist“, sagt sie im Bundestag.
Zweitens: Es liegen schon heute Staatsanleihen von Krisenländern mit einem Volumen von 300 Milliarden Euro bei der Europäischen Zentralbank EZB, für die die Mitgliedstaaten haften. Und durch die Beteiligungen an den EU-Rettungsschirmen steht Deutschland ebenfalls im Wort, im Notfall zu zahlen.
Merkel ist nicht dafür bekannt, Horrorszenarien an die Wand zu malen. Und sie bedient auch nicht Rufe in ihrer Partei, eine „Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede“ für Europa zu halten. Dennoch wirkt es angesichts der weiter um sich greifenden Krise mit den jüngsten Bitten Spaniens und Zyperns um Finanzhilfen für marode Banken inzwischen bedrohlich, wenn sie mahnt: „Eine Überforderung Deutschlands hätte nicht nur unabsehbare Folgen für die Bundesrepublik, sondern für ganz Europa.“ Deutschland wäre wohl kein Dominostein, sondern - mit seiner jetzt noch hervorragenden Bonität - der Fels in der Brandung, der kippt.
Steinmeier hält Merkels Spar- und Konsolidierungskurs ohne größere Wachstumsprogramme für fatal. „Sie sind und waren Teil des Problems“, wirft er ihr vor. „Nur sparen ist blauäugig.“ Die Wirklichkeit sei, dass Staaten wie Griechenland so nicht auf die Beine kämen. Und es sei eine ganz deutsche Erfahrung, dass für die Ankurbelung der Wirtschaft mehr Wachstumsimpulse gebraucht würden. Linksfraktionschef Gregor Gysi sieht das ähnlich. Er sagt, wenn Griechenland aus dem Euro aussteige, folge auch Portugal. „Und dann ist Europa tot.“
So richtig vom Sparen kann in Deutschland aber überhaupt nicht die Rede sein. Die öffentlichen Schulden sind im dritten Quartal dieses Jahres auf 2 Billionen und 27,5 Milliarden Euro gestiegen. Das ist die höchste Summe seit Bestehen der Bundesrepublik.
Schon am Freitag treffen sich alle wieder. Dann stimmen Bundestag und Bundesrat über den EU-Rettungsschirm ESM und den europäischen Fiskalpakt ab. Merkel kommt dafür direkt vom Gipfel in Brüssel zurück, wo ein Wachstumspakt mit Ausgaben von 130 Milliarden Euro beschlossen und über einen historischen Machtverzicht der nationalen Regierungen und Parlamente zugunsten der EU beraten werden soll.
Alles Kleinkram aus Sicht von FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle. Seine Bewertung des Zustands der EU: „Die Welt lacht sich ja kaputt über diese 27, demnächst 28 Gartenzwerge, die Weltpolitik machen wollen, aber nichts hinkriegen.“ Schlimmer hätte es die Opposition nicht sagen können.