Analyse: Explosionsgefahr auf Bohrinsel (mit Video)
London/Aberdeen (dpa) - Die Idylle trügt: Fast friedlich liegt die Förderplattform „Elgin“ in der Nordsee, 240 Kilometer von der schottischen Ostküste entfernt. Die Sonne scheint, die See ist ungewöhnlich ruhig für die Jahreszeit.
Dennoch darf sich kein Mensch, kein Schiff, kein Flugzeug der Plattform nähern. Wer es tut, riskiert mitsamt der ganzen 40 000 Tonnen schweren Bohrinsel in die Luft zu fliegen - ein Funke kann genügen.
Vier Tage ist es inzwischen her, dass den Arbeitern auf der Förderplattform ein Gasleck aufgefallen ist. Die Betreiberfirma machte das einzig Richtige: Die Plattform wurde sofort heruntergefahren, alle 238 Arbeiter mit Hubschraubern an Land gebracht. Eine menschliche Tragödie wie vor zwei Jahren im Golf von Mexiko, als bei der Explosion der „Deepwater Horizon“ elf Arbeiter starben, wurde damit verhindert.
Für die britische Regierung war das Anlass für Lob. „Wir haben die besten Notfallpläne der Welt“, sagte Energiestaatssekretär Charles Hendry. Schatzkanzler George Osborne hatte erst in seinem kürzlich vorgestellten Haushalt noch milliardenschwere Steuererleichterungen für die Öl- und Gasindustrie verkündet. Die Branche ist als Steuerquelle für die britische Volkswirtschaft überlebenswichtig.
Die Betreiberfirma, der französische Energiekonzern Total, zündete dann Stufe zwei ihres Notfallplans für den Fall eine Gaslecks: Die Einrichtung einer Sperrzone. Jetzt beginnt der schwierige Teil der Operation: Das Leck muss geschlossen werden. Und dabei zeigen sich die Franzosen total ratlos. Am Tag vier der Havarie ist nicht einmal genau klar, wo das Gas ausströmt. Ist die undichte Stelle am Fuß der Bohrung, bis zu 5000 Meter unter dem Meeresboden? Oder eher kurz unter der Oberfläche der an dieser Stelle nur 93 Meter tiefen Nordsee, wie viele Beobachter vermuten?
Die Informationen von Total fließen nur spärlich. Darüber ist die schottische Regionalregierung verärgert: „Maximale Transparenz“ forderte Energieminister Richard Lochhead.
Nicht einmal auf die genaue Art und Zusammensetzung des ausströmenden Gases will sich Total festlegen lassen. Es handele sich um eine Kohlenwasserstoffverbindung. Dass da auch giftige Schwefelverbindungen enthalten sind - da sind sich Umweltschützer wie der deutsche WWF-Funktionär Peter Lutter sicher. Über die Frage, was das zu bedeuten hat, gehen die Meinungen weit auseinander. Während die Umweltschützer von „Todeszonen“ im Meer reden, geht Total davon aus, dass sich das Gas schnell verflüchtigt und keine nennenswerten Umweltschäden anrichten wird.
Einen Anhaltspunkt in diesem spekulativen Umfeld geben möglicherweise diejenigen, die sich mit Spekulation auskennen. Schließlich sackte die Total-Aktie schon am Dienstag um sechs Prozent in den Keller, als die Nachrichten aus Schottland um die Welt gingen. Doch die Ratingagentur Fitch rät zur Ruhe: „Das Potenzial, dass dies eskaliert und die Ausmaße der Deepwater Horizon erreicht, ist aus unserer Sicht gering“, erklärte Fitch am Mittwoch in London.