Analyse: Fernbusbetreiber „müssen den Lokführern danken“
Berlin (dpa) - Für Millionen Reisende ist es fast schon zur ärgerlichen Gewohnheit geworden: Ein Streik jagt den anderen. Nach dem mehr als zweitägigen Ausstand der Lokführer bei der Deutschen Bahn am Wochenende sind jetzt wieder die Piloten der Lufthansa an der Reihe.
Eineinhalb Tage lang wollen sie die Maschinen am Boden halten - zum inzwischen achten Mal im laufenden Tarifstreit.
Dabei hatte bereits der bundesweit in großen Teilen lahmgelegte Zugverkehr an einem Fußball-, Ferien- und Schönwetter-Wochenende Pendler und Urlauber in der ganzen Republik schwer getroffen. Vielerorts wuchs der Zorn auf die Lokführergewerkschaft GDL - und trieb den Anbietern alternativer Verkehrsmittel scharenweise neue Kunden zu.
Nicht nur die Brezn-Verkäuferinnen am Münchner Hauptbahnhof klagten. „Normalerweise haben wir hier alle gut zu tun. Aber heute Morgen kommt hier fast überhaupt keiner“, hieß es dort am Samstag.
Die Frauen hätten mehr zu tun gehabt, hätten sie nicht am Bahn-, sondern am Busbahnhof Position bezogen. An den Stationen reihten sich Schlangen, abfahrende Busse waren bis auf den letzten Platz besetzt.
„Wir mussten spontan umdisponieren, aber das mit dem Bus ist super. Viel billiger auch“, sagte ein Mann, der zusammen mit seiner Frau von München über Innsbruck an den Gardasee fahren wollte. „Das machen wir jetzt immer. Eigentlich müssten wir den Lokführern danken.“
Diejenigen, die noch Tickets ergatterten, konnten sich freuen. Wer auf die Bahn angewiesen war, dem blieben oft nur Ärger und Enttäuschung. „Ich finde das nicht in Ordnung“, schimpfte Ingeborg Eickhoff, die mit ihrem elfjährigen Enkel Simon in Hannover auf einen Zug nach Hamburg wartete. Für Andrea Schmidt und ihre Freundinnen aus dem Ruhrgebiet bedeutete der Lokführer-Streik das vorzeitige Ende eines Wochenend-Trips. „Ich finde es eine Frechheit“, sagte Schmidt.
Bereits nach der Ankündigung des Ausstands am Freitag waren Server der Fernbus-Anbieter zusammengebrochen, Webseiten nicht erreichbar. MeinFernbus verzeichnete eine Verdreifachung der Buchungen, 100 Zusatzfahrten wurden organisiert. Der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer (bdo) sprach von „purem Wahnsinn“.
Unerwartet, aber rettend kam die Reise mit dem Fernbus für Klaus Malitz (73). Er wollte mit dem ICE von Köln zurück nach Erfurt fahren - aber sein Zug wurde gestrichen. Also buchte sein Sohn einen Fernbus. „Ich hätte nicht gewusst, wie ich sonst nach Hause komme.“
Während sich die einen freuten, verzweifelten die anderen. Fünf Jugendliche aus Dänemark wussten nicht, dass in Berlin die S-Bahnen stillstanden. Ihren Bus am Zentralen Omnibusbahnhof im Westen der Stadt verpassten sie deshalb. In Dänemark gingen die Herbstferien zu Ende, die fünf mussten am Montag wieder zur Schule.
Je mehr Sitzplätze verkauft würden, desto mehr müssten die Passagiere zahlen, sagte ein Ticketverkäufer von Flixbus in München. „Für uns war es ein Rekord-Wochenende“, bilanzierte eine Sprecherin am Sonntag. Zuschläge gab es aber nicht - ebenso wie bei MeinFernbus.
Was für die Fernbus-Anbieter ein Segen war, entpuppte sich für Taxifahrer als Katastrophe. „Seit drei Stunden habe ich keine einzige Fahrt gemacht“, sagte Ahmed Basharat am Kölner Hauptbahnhof. Die Leute kämen erst gar nicht an oder nähmen gleich selbst das Auto.
Viele Passagiere wichen auch auf Mietwagen aus. „Wir sind total ausgebucht“, berichtete eine Europcar-Mitarbeiterin in Hannover. Gestrandete Bahnreisende hätten sich zu Fahrgemeinschaften zusammengeschlossen, um einen Mietwagen zu nehmen. Sixt dankte den Lokführern mit dem Spruch: „HDGDL, GDL.“ Ob die Aussage „Hab' dich ganz doll lieb, GDL“ letztlich aber nicht doch nur ein Werbegag war?
Ausgebremst vom Streik wurden außerdem Fußballanhänger, die eigentlich mit Sonderzügen zu den Auswärtsspielen ihrer Vereine hätten reisen sollen. Doch verzweifelte Fans waren an den Bahnhöfen nicht zu sehen.
Auch wenn GDL-Chef Claus Weselsky im ZDF eine einwöchige Streikpause ab Montag ankündigte: Der Konflikt um die Vertretung verschiedener Berufsgruppen bei der Bahn sowie um mehr Geld und weniger Arbeitszeit scheint noch weit von einer Lösung entfernt. Und das Hin und Her zwischen Lokführer- und Pilotenstreiks geht vorerst weiter: Nur neun Stunden, nachdem die GDL-Mitglieder wieder mit der Arbeit beginnen, will die Gewerkschaft Vereinigung Cockpit ab Montag um 13.00 Uhr Kurz- und Mittelstreckenflüge von deutschen Airports ausfallen lassen.