Analyse: Gottes Lotse geht von Bord
Rom (dpa) - Ein ganz normaler Arbeitstag sollte es sein, und es waren doch historische Stunden. Nach sieben Jahren, zehn Monaten und neun Tagen auf dem Stuhl Petri sagte Papst Benedikt XVI. den engsten Mitarbeitern, den Kardinälen, ein bewegendes Lebewohl.
Gottes Lotse geht von Bord, als erstes Kirchenoberhaupt der Katholiken seit dem Mittelalter. Joseph Ratzinger, der deutsche Pontifex, tat dies in der ihm eigenen, sehr bescheidenen Art: „Bedingungslose Hochachtung und Gehorsam“ gelobte er seinem Nachfolger, der bei dem Abschied vom Kardinalskollegium in der Sala Clementina wohl schon zugegen war.
So machte Benedikt nebenbei eines klar: Niemand muss befürchten, dass es nach seinem Rücktritt zwei Päpste im Vatikan geben wird und er als „emeritierter“ Pontifex seinem Nachfolger dreinreden könnte. Der Mann, der sein Leben dem katholischen Glauben widmet, hatte zuvor schon erklärt, seiner Kirche auch zukünftig „im Gebet“ nahe sein zu wollen. Doch will Benedikt zurückgezogen leben, wenn er in ein paar Monaten das für ihn umgebaute Kloster in den Vatikanischen Gärten bezogen hat. Dort kann sich der Theologe Ratzinger, der 2005 gar nicht Papst werden wollte, dem Schreiben, Lesen und der von ihm so geliebten Musik widmen. Einen „Schatten-Papst“ dürfte es nicht geben.
Strahlendes Spätwinterwetter lag an dem Tag über der Ewigen Stadt, für den Benedikt seinen spektakulären Schritt angekündigt hatte. Sein Kirchenschiff der knapp 1,2 Milliarden Gläubigen weltweit verlässt er hingegen in stürmischer See. Missbrauchsskandal, „Vatileaks“-Affäre und ausgebliebene Reformen der erstarrten Kurie in Rom dürften auch dem Nachfolger unruhige Nächte bereiten. Der abtretende Benedikt gab aber zunächst seinen Kardinälen noch einen Rat auf den Weg für das im März anstehende Konklave: Sie sollten wie ein Orchester sein, das bei aller Verschiedenheit zu einer „einstimmigen Harmonie“ finden kann.
Das war wohl auch eine klare und notwendige Mahnung, möglichst ohne Intrigen einen Pontifex zu küren. Von Machenschaften und Seilschaften im Vatikan war durch Enthüllungen in der „Vatileaks“- Affäre genug die Rede. Die aus aller Welt nach Rom strömenden Kardinäle sollen in der kommenden Woche beginnen, sich zunächst über die Probleme der Kirche und die spezielle Situation auszutauschen, die ein amtsmüder Pontifex ihnen hinterlässt. Das kann die Entscheidung erleichtern, wer sie nun aus den Krisen führen soll, zu denen auch der schwindende Glaube etwa in Europa, der mangelnde Priesternachwuchs und ein Reformstau zählen.
Zumindest eine „Reform“ hat Benedikt mit seinem Rückzug in die päpstliche Sommerresidenz über dem Albaner See vielleicht doch noch eingeläutet: Er hat das Amt des „Stellvertreter Gottes“ auf Erden mit seinem Abgang entzaubert. Die Purpurträger könnten nun sehr wohl ein jüngeres Kirchenoberhaupt wählen und müssten nicht befürchten, dass der neue Papst dann Jahrzehnte bis zu seinem Tod auf dem Stuhl Petri bleibt. Das Amt also als Leitungsfunktion, die man ausübt, solange es eben geistig und körperlich geht - Benedikt hat ein mutiges Zeichen, nicht eines der Schwäche gesetzt, als er sich zu diesem Schritt entschloss.
Der letzte Arbeitstag des 85-jährigen Papstes endete nicht mit seinem Abschied von 144 Kardinälen. Da waren noch zwei Ernennungen in Argentinien und Vietnam zu unterschreiben, der Abflug in die Residenz musste vorbereitet werden. Und ein letzter Tweet im Internet musste herausgegeben werden. Es galt auch hier und dort im Vatikan Adieu zu sagen. Immerhin hatte er etliche, sehr wichtige Jahre dort verbracht.
Bis um 19.59 Uhr hätte Benedikt noch die eine oder andere Entscheidung treffen können. Außerdem stand da noch ein kleiner Abschiedsgruß an die Gläubigen in Castel Gandolfo an. „Er wird dann erst einmal zu Abend essen und dann in der Kapelle beten“, hatte Vatikan-Sprecher die allerletzten Stunden dieses Pontifikats beschrieben. Um Punkt 20.00 Uhr, so war festgelegt, endete es. Die päpstliche Wohnung im Apostolischen Palast sollte dann versiegelt werden.
Und die Suche nach einem Nachfolger kann damit auch erst richtig beginnen. Wenn dieser in der Sixtinischen Kapelle gewählt wird, ist Joseph Ratzinger nicht mehr dabei. Eine Bürde ist von ihm gefallen. Das war schon am Mittwoch beim Abschied von den Gläubigen zu sehen.