Analyse: Große Koalition stößt an Grenzen
Berlin (dpa) - Das Gesicht spricht Bände. Mit zusammengekniffenen Lippen und finsterem Blick verlässt Sigmar Gabriel am Sonntag um 10.58 Uhr das Kanzleramt.
Zwei Stunden saß der SPD-Vorsitzende oben mit der Kanzlerin und CSU-Chef Horst Seehofer zusammen. Die Erwartungen an das Treffen waren riesengroß - geschürt von Seehofer, der nichts anderes als einen Kurswechsel Angela Merkels in der Flüchtlingspolitik erzwingen wollte. Sein Ziel: Die CDU-Chefin soll von ihrem grenzenlosen „Wir schaffen das“ abrücken.
Gegen Mittag, als Gabriel die Spitzenrunde verlässt, ist Seehofers Ultimatum erstmal verpufft, es müsse von der Spitzenrunde ein glasklares Signal zur Begrenzung der hohen Flüchtlingszahlen ausgehen. Der bayerische Ministerpräsident stand knapp drei Wochen vor dem CSU-Parteitag, wo er sich zur Wiederwahl stellt, mit leeren Händen da. Doch das sollte sich Stunden später noch ändern - ein wenig zumindest.
Die Stimmung in der Dreierrunde soll den Umständen entsprechend „ordentlich“ gewesen sein, heißt es. Kein Gepolter, keine neue Drohungen. Aber eben auch kein Durchbruch. Es hakt unverändert bei den Transitzonen. Hier waren Gabriel und die SPD am Samstag mit einem eigenen Konzept vorgeprescht, um die Union in die Enge zu treiben.
In allen Bundesländern soll es demnach dezentrale Einreisezentren geben, in denen jeder Asylsuchende sich registrieren lassen muss. Nach Länder-Informationen kommen derzeit 75 Prozent der Migranten über die grüne Grenze. Die SPD-Idee: Wer sich nicht in einem Zentrum anmeldet, bekommt gar keine oder weniger Leistungen. Und seine Chancen würden sinken, überhaupt Asyl zu bekommen.
Als Gabriel verschwunden ist, verhandeln die Unionsleute weiter - das war wohl schon am Vorabend geplant, als eine erste Runde der Unions-Granden nach fünf Stunden gegen Mitternacht auseinander gegangen war. Schon um 11.15 Uhr lässt sich Fraktionschef Volker Kauder (CDU) am Sonntag ins Kanzleramt fahren, die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt kommt zwei Minuten später zu Fuß. Wieder folgen fünf Verhandlungsstunden.
Am Ende veröffentlichen die zerstrittenen Unionsschwestern ein gemeinsames Sechs-Seiten-Papier, in dem sich beide Seiten wiederfinden sollen. Es dient wohl vor allem auch zur Befriedung des gefährlichen Streits zwischen Merkel und Seehofer.
Die CSU-Seite gibt sich anschließend zufrieden - und hebt einen Passus gleich auf Seite Eins des Papiers hervor. Dort heißt es, zentrale Ziele von CDU und CSU seien „Zuwanderung ordnen und steuern, sowie Fluchtursachen bekämpfen, um so die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren“. Vor allem den letzten Teil des Satzes interpretiert die CSU als Zugeständnis der Kanzlerin, die sich damit erstmals klar für eine Reduzierung der Flüchtlingszahl ausgesprochen habe. Das stimmt zwar so nicht ganz - auch Merkels Politik mit der Türkei dient dazu, den Flüchtlingsandrang zu mindern. Aber Seehofer scheint mit dem Signal zufrieden.
Das Unionspapier dürfte zugleich neuen Ärger für die Gespräche mit der SPD bedeuten. CDU und CSU spielen den Ball bei den Transitzonen an den Koalitionspartner zurück. Wo diese Zonen eingerichtet werden sollen, lässt die Union zwar offen - das kann als Entgegenkommen an die SPD gewertet werden. Aber CDU und CSU pochen auf das Flughafenverfahren: Demnach darf im Transitbereich der Airports festgehalten werden, wer keine oder gefälschte Ausweispapiere bei sich hat oder aus einem „sicheren Herkunftsland“ kommt. Das bedeutet nicht Freiwilligkeit, sondern zur Not Anwendung von Polizeigewalt. Für die SPD dürfte das ein No-Go bleiben.
Wie kommt die „GroKo“ also aus der Bredouille? Das ist derzeit nicht absehbar. Zunächst dürften die Fraktionssitzungen bei Union und SPD an diesem Dienstag spannend werden. Bei der Union sinken die Umfragewerte, in den Wahlkreisen machen die Bürger den Unionsabgeordneten Druck. Und auch die Sozialdemokraten kommen nicht aus dem Umfragekeller.
Dann wird es am Donnerstag ein neues Spitzentreffen der drei Parteichefs vor der Ministerpräsidentenkonferenz geben - getreu dem Merkel-Motto, einen Schritt nach dem anderen zu gehen. Doch ob das einen Durchbruch bringt, ist mehr als ungewiss.