Analyse: Hauptstadtflughafen kommt nicht durch den TÜV
Berlin (dpa) - Bitter, böse, enttäuschend. Und: Jetzt einen kühlen Kopf bewahren - wenn Politiker so reden, sind sie in höchster Not. So wie Klaus Wowereit und Matthias Platzeck, die am Dienstag eine ihrer größten Blamagen eingestehen müssen.
Schon wieder verschieben die Länderchefs den Start des Hauptstadtflughafens Berlin Brandenburg - vier Wochen vor der geplanten Eröffnung. „Ich bin stocksauer“, sagt Platzeck. Das Vorzeigeprojekt der beiden SPD-Politiker hatte ohnehin schon viele Schrammen. Nun ist es richtig demoliert. Und ob der Airport ein wirtschaftliches Glanzstück wird, ist derzeit auch unsicher. Denn der Hauptkunde Air Berlin ist in schweren Turbulenzen, die versprochenen Arbeitsplätze lassen auf sich warten und der Protest der lärmgeplagten Anwohner lässt nicht nach.
Ende Mai schon wollte die Kanzlerin vor tausenden geladenen Gästen in Schönefeld Berlins und Brandenburgs neues Tor zur Welt symbolisch aufstoßen. Es soll den schäbigen früheren DDR-Zentralflughafen nebenan ablösen und auch den überlasteten Flughafen Tegel - die „vereinigten Hüttenwerke“, wie Flughafenchef Rainer Schwarz einmal spottete. Nun muss er lebensverlängernde Maßnahmen für die abgehalfterten Airports verkünden.
Denn an der Berliner Stadtgrenze kommt der 2,5 Milliarden Euro teure „modernste Flughafen Europas“, wie die Betreiber werben, nicht durch den TÜV. Die Brandschutzanlage sei noch nicht weit genug, heißt es. Der Festakt mit Kanzlerin fällt aus und wenn dann im August vielleicht doch die erste Maschine abhebt, soll die Feier eine Nummer kleiner sein, wie Wowereit sagt. Man ist kleinlaut geworden.
Die böse Überraschung kam über Nacht, wenn man den SPD-Größen glaubt, die mit dem Willy-Brandt-Airport ihrem politischen Großvater Willy Brandt und auch ein wenig sich selbst ein Denkmal setzen wollen. Warum der Aufsichtsrat das so spät erfährt? Dafür fehle ihm die Fantasie, sagt Wowereit als Chef des Kontrollorgans.
Die Geschäftsführung hatte noch vor zwei Wochen ausweichend auf Journalistenfragen nach dem Brandschutz geantwortet. Die nötigen Abnahmen der Behörden für Gebäude und Betriebsabläufe würden rechtzeitig erteilt, hieß es damals. Nun bleibt Geschäftsführer Schwarz nur, um Entschuldigung zu bitten.
Der Hauptstadtflughafen scheint unter keinem guten Stern zu stehen. Eigentlich sollte Deutschlands drittgrößter Flughafen schon seit einem halben Jahr in Betrieb sein. Doch nach Pleiten von Planungsfirmen und neuen Sicherheitsvorschriften musste der Start schon einmal verschoben werden.
Je näher nun der neue Termin 3. Juni rückte, um so häufiger kam die Frage, wo denn die versprochenen 40 000 Arbeitsplätze bleiben. Sicher ist: Am BER - so das internationale Kürzel für den Airport - werden 20 000 Menschen arbeiten, 2000 bis 3000 mehr als an den alten Airports. Hinzu rechnen die Landesregierungen 9000 weitere Jobs im Umfeld. Mehr ist bislang nicht in Sicht.
Eineinhalb Jahre stand der Neubau außerdem völlig im Schatten des Streits um die Flugrouten, deren tatsächliche Dimension die Landesregierungen jahrelang im Dunkeln gelassen hatten. Nun ist der Widerstand rund um den Flughafen mitten im Berliner Speckgürtel umso größer. Für viele ist es nur noch der „ProblemBER“.
Das dürfte es den Betreibern schwer machen, die Kapazität möglichst bald von 27 auf 45 Millionen Passagiere im Jahr aufzustocken - auch wenn die notwendigen Terminal-Erweiterungen schon genehmigt sind.
Nun droht neuer Ärger durch die Verschiebung. Bei der Lufthansa-Hauptversammlung in Köln schlägt die Nachricht aus Berlin am Dienstag ein wie eine Bombe. Die größte deutsche Airline muss nun die für den neuen Flughafen geplanten zusätzlichen Kapazitäten in das enge bestehende Flughafensystem Berlins drücken. Sechs zusätzliche Maschinen müssen untergebracht werden. Ansprüche auf Schadenersatz werden die Juristen später prüfen.
Und dann ist da noch die Frage, ob Air Berlin durchhält. Die zweitgrößte deutsche Airline soll jeden dritten Flug am neuen Flughafen anbieten, sie ist der Hauptkunde. Doch Air Berlin fliegt seit vier Jahren rote Zahlen ein und es ist unklar, ob der Einstieg der Airline Etihad hilft - oder ob das Geld der Araber die Berliner nur etwas länger über Wasser hält.
Platzeck hat schon die Devise für Berlin und Brandenburg ausgegeben: „Nerven behalten!“