Analyse: Kanzlerin Merkel und das Pulverfass Nahost

Berlin (dpa) - Eigentlich soll die Israel-Reise von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit ihrer halben Ministerriege auch ein Stück Normalität demonstrieren.

Zukunftsthemen wie Forschung und erneuerbare Energien stehen an diesem Montag auf der Tagesordnung, wenn die Kabinette beider Länder in Jerusalem zur dritten gemeinsamen Tagung zusammenkommen. Auch den Jugendaustausch wollen beide Seiten weiter ankurbeln.

Doch angesichts der eskalierenden Gewalt bei den Massenprotesten in Israels Nachbarland Ägypten und der unklaren Lage im Libanon ist aus der Zweitages-Visite der Kanzlerin eine Reise mitten ins Pulverfass Nahost geworden.

Aus den Stellungnahmen der Bundesregierung zur Lage in Ägypten ist die Unsicherheit über die Entwicklung in dem Land abzulesen. Zwar setzt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eindeutig auf die dortige Demokratiebewegung. Und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) warnt die Regierung von Präsident Husni Mubarak vor dem Einsatz von Waffen gegen die Protestierenden. Doch er spricht auch die Sorgen offen aus: Wer versuche, den Freiheitswillen gewaltsam zu unterdrücken, „der wird nur Extremismus ernten“, sagt er in Richtung des seit fast 30 Jahren herrschenden 82-jährigen Mubarak.

Großen Reformdruck sieht die Bundesregierung in Ägypten in der Wirtschaft, dem Sozialsystem und insgesamt in der Gesellschaft. Merkels Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans hob am Freitag aber auch die Rolle hervor, die Ägypten „als Stabilitätsanker der gesamten Region hatte und weiter hat“. Das gilt vor allem für den Nahost-Friedensprozess, jedoch auch bei der Eindämmung des islamistischen Extremismus. Es schwingt die Angst mit, dass niemand weiß, in welche Richtung sich Ägypten entwickelt, wenn die Regierung Mubarak von der Protestwelle hinweggefegt werden sollte.

Eine weiterer weitgehend unkalkulierbarer politischer Faktor macht der Bundesregierung im Norden Israels Sorgen: die libanesische Regierung. Von einer „politischen Gewichtsverlagerung“ ist in Berliner Regierungskreisen vergleichsweise diplomatisch die Rede. Doch Merkel weiß genau, dass eine Regierungsübernahme durch den von der radikal-islamischen und israelfeindlichen Hisbollah getragenen neuen Ministerpräsidenten Nadschib Mikati das Verhältnis zwischen Israel und seinem nördlichen Nachbarn weiter verschlechtern dürfte.

Auch das Thema Iran will Merkel bei ihrem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ansprechen. Dabei soll über Konsequenzen aus dem Fehlschlag bei den jüngsten Gesprächen über das Atomprogramm des Landes beraten werden. Doch dass es dabei allzu konkret wird, ist kaum zu erwarten.

Und ob Merkel mit ihrem politischen Gewicht tatsächlich neuen Schwung in die festgefahrenen israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen bringen kann, ist ebenfalls nicht absehbar. Merkel gehe mit Realismus an diese Gespräche heran, heißt es in Regierungskreisen. Aber: „Nichtstun ist keine Alternative.“