Analyse: Mubarak kämpft um einen würdigen Abgang
Kairo (dpa) - „Ich werde in der Heimat sterben“, sagte der ägyptische Präsident Husni Mubarak. Dies ist wahrscheinlich die schwerste Stunde seiner politischen Karriere. Die meisten seiner Landsleute wollen ihn zum Teufel jagen.
Er kämpft bis zuletzt - um einen würdigen Abgang.
Zuvor hatte er sich den ganzen Tag nicht blicken lassen, während die Menge der Demonstranten immer größer wurde.
Alle fragten sich: Wo steckt Präsident Mubarak an diesem Tag, an dem ihn Millionen Ägypter auf den Straßen ihre Ablehnung spüren lassen? Warum reagiert er nicht auf den politischen Flächenbrand, den er verursacht hat? Warum lässt er, der Ägypten doch angeblich so sehr liebt, zu, dass es in den Bäckereien kaum noch Brot gibt und die Firmen keine Gehälter mehr auszahlen können? Mubarak, der einst so mächtige Staatsmann, erinnert in diesen Tagen an Kaiser Nero, der die Stadt Rom erst zerstört haben soll und ihr Schicksal dann in traurigen Versen beklagte.
Während ganz Ägypten auf das Ende der Ära Mubarak wartet, werden im Hintergrund schon die Weichen für die Zeit nach seinem - inzwischen von fast allen erwarteten - Rücktritt gestellt. Nur: Jeder stellt die Weichen in eine andere Richtung. Denn einig sind sich die Regimekritiker nur in einem Punkt: Der Präsident und sein Regime müssen weg. Doch schon wenn es um die Frage geht, wer anschließend in einer Übergangsregierung Verantwortung übernehmen könnte, gibt es Unstimmigkeiten zwischen den politischen Köpfen der Bewegung.
Der eine will aus Ägypten eine moderne Demokratie nach europäischem Vorbild machen. Andere Oppositionelle wünschen sich einen Wohlfahrtsstaat mit sozialistischem Touch. Die Anhänger der Muslimbruderschaft, die bei der Mega-Protestkundgebung in Kairo etwa ein Drittel der Demonstranten stellt, hat Pläne für einen islamischen Staat in der Schublade. Dieser Staat soll nach ihren Vorstellungen zwar nicht so rigide und intolerant sein wie der Iran, aber auch nicht so flexibel wie die islamistische Regierung in der Türkei.
Dass die Muslimbrüder sich jetzt vielleicht hinter den beiden Nobelpreisträgern Mohammed El Baradei und Achmed Zuwail verstecken, um dann später, wenn der Westen den Regimewechsel am Nil akzeptiert hat, ihren Machtanspruch zu manifestieren - das ist die große Sorge des liberalen ägyptischen Bürgertums.
„Auch wir wollen, dass es den Ärmsten der Armen besser geht, selbst wenn wir dafür etwas abgeben müssten“, sagt Sahar, die in ihren weitläufigen Wohnung in einem der besseren Viertel Kairos mit ihrem Ehemann und dem erwachsenen Sohn vor dem Fernsehen die Demonstrationen verfolgt. „Auch wir mögen das Regime nicht und wir mögen die auch mit ihm verbandelten neurreichen Geschäftsleute nicht, die mit ihrem unredlich erworbenen Reichtum protzen.“
Sahar wünscht sich, dass Mubarak ins Flugzeug steigt und ins Exil geht, ohne Militärprozess und ohne Blutvergießen - so wie der letzte ägyptische König Faruk, der nach der Revolution 1952 mit dem Schiff von Alexandria ablegte. „Wir Ägypten sind kein blutrünstiges, rachsüchtiges Volk“, sagt sie. Das einzige, wovor sie Angst hat, sind die Muslimbrüder, erklärt sie.
Unterdessen brodelt die Gerüchteküche. Ein US-Regierungsbeamter, der am Vortag angekommen war, reist ab, ohne eine Erklärung abzugeben. Die US-Botschaft zieht einen Teil ihre Diplomaten ab. El Baradei sitzt derweil daheim im Garten und gibt ein Fernsehinterview nach dem anderen.
Überraschend meldet sich auch der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Mussa, zu Wort. Mubarak hatte Mussa einst auf diesen Posten abgeschoben, weil er ihm als Außenminister zu populär geworden war. „Ich spreche hier als einfacher, verantwortungsvoller Bürger“, sagt Mussa dem Nachrichtensender Al-Arabija. Doch wer weiß, vielleicht hat der ehemalige ägyptische Außenminister noch Pläne für eine dritte Karriere. Am Abend schon wirft er seinen Hut in den Ring. In brüchigem Englisch ruft er seine Landsleute im US-Sender CNN auf, vernünftig zu sein und keine Maximalforderungen zu stellen, die einen reibungslosen Machtwechsel gefährden können.
Der Wunschkandidat der Amerikaner für das Präsidentenamt in Kairo wäre Mussa sicher nicht - zu oft hat er die USA wegen ihrer Parteinahme für Israel kritisiert. Die europäischen Diplomaten sind derweil vor allem damit beschäftigt, ihren Landsleuten bei der Ausreise aus Ägypten zu helfen.
Viel hängt jetzt davon ab, wie sich die Armee positioniert.