Analyse: Nato und EU in Wallung wegen Gaddafi
Brüssel (dpa) - Es gibt kein Ende des Streits bei der Nato. Und einen Mangel an Enthusiasmus bei der EU. An allem soll Muammar al-Gaddafi schuld sein. Manchmal ist der Ärger aber auch hausgemacht.
Guido Westerwelle hatte es überhaupt nicht eilig. Zwölf Minuten ließ der deutsche Außenminister sich am Montagmorgen Zeit, um das Gebäude des EU-Ministerrates zu betreten. Erst Küsschen links und rechts für die in eine Kamera redende EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton, dann immer wieder geduldige Erklärungen gegenüber Journalisten an Winkeln und Ecken, die er bislang nur im Laufschritt zu passieren pflegte. Ursprünglich hatte er gar nicht kommen wollen, aber am Wochenende hatte sich Westerwelle umentschieden: Die deutsche Außenpolitik musste erklärt werden. Europa und der Welt. Dringend.
Die Anwesenheit in Brüssel war aber auch geboten, weil der libysche Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi ohne viel eigenes Zutun sowohl die Nato als auch die EU in heftige Wallung versetzt hatte. Bei der Nato hatten pausenlose Krisensitzungen der Regierungsvertreter am Wochenende zu nichts geführt. Frankreich und die Türkei blockierten aus unterschiedlichen Gründen ein Mandat, das es dem Bündnis erlauben sollte, die bisher von Washington, Paris und London quasi freihändig organisierten Luftschläge zu leiten und zu lenken.
Und bei der EU formulierte der französische Außenminister Alain Juppé mit ernstem Gesicht zum Thema Libyen: „Es gibt einen Zusammenhalt der EU in dieser Sache - wenn auch nicht mit besonderem Enthusiasmus.“ Westerwelle wiederum berichtete, seine Skepsis gegenüber dem Militäreinsatz werde „von durchaus einigen anderen Mitgliedern der EU geteilt“. Die Debatte sei „offen und verantwortungsvoll“ gewesen.
Unter dem Strich entschieden die Minister, dass die EU nicht nur die Sanktionen gegen Gaddafi und dessen Vertraute verschärfen sollte. Deutschland forderte zusätzlich noch ein Ölembargo, obwohl Libyen - umständehalber - tatsächlich praktisch kein Öl mehr exportiert. Vor allem solle sich, so der Konsens, die EU auf humanitäre Hilfe konzentrieren. Notfalls auch mit militärischer Absicherung, aber dann unter der Koordinierung der Vereinten Nationen. Denkbar ist beispielsweise die Rettung von Flüchtlingen aus Libyen per Schiff. Wenn es denn zum Schlimmsten kommen sollte.
Ob Gaddafi in überschaubarer Zeit die Macht abgeben muss (wie die EU-Außenminister am Montag erneut forderten), hängt aber vor allem davon ab, ob seine militärische Machtbasis auch fürderhin existiert. Bisher jedoch spielt sich das militärische Kräftemessen außerhalb der Nato ab, die sich in besseren Zeiten gerne als „erfolgreichste Allianz der Welt“ bezeichnet. Ihr Eingreifen in den Konflikt (Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen: „Wir sind für den Fall der Fälle bereit“) litt an den eigenen Mitgliedsländern.
Frankreich, das im April 2009 feierlich in den militärischen Teil der Nato zurückgekehrt war, lehnte jetzt im Nato-Rat eine Führungsrolle des Bündnisses ab. Juppé begründete dies damit, dass die arabischen Staaten die Nato ablehnten. Als Ersatz brachten die Franzosen eine Führungsrolle der EU ins Spiel - so, als wüssten sie nicht um die Probleme der Union, sich auch nur auf eine Erkundungsmission ins aufständische Bengasi zu einigen. Tatsächlich, so mutmaßen Diplomaten, schätzt Frankreich die operationelle Freiheit ohne die Rolle der Nato.
Angesichts dieser Haltung trat auch die Türkei in Aktion. Regierungschef Recep Tayyip Erdogan, der erst im Dezember mit dem „Gaddafi-Friedenspreis“ ausgezeichnet worden war, machte sich am Montag mit der Forderung nach einem raschen Ende der Militärangriffe bemerkbar. Zuvor hatte Ankara im Nato-Rat bereits deutlich gemacht, dass die französische Ablehnung der Nato nicht hinnehmbar sei. Diplomaten sagten, möglicherweise sei Erdogan vor allem verstimmt darüber, dass er nicht von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy zum Libyen-Gipfel am vergangenen Wochenende eingeladen worden sei.