Analyse: Obama unter Druck
Washington (dpa) - Wie sensibel das Thema Libyen in den USA ist, merkt man schon an der Wortwahl. Ob US-Militärs, das State Department oder der Präsident persönlich - das hässliche Wort Krieg meiden sie alle wie der Teufel das Weihwasser.
„Eine zeitlich und räumlich begrenzte Militäraktion, gemeinsam mit unseren internationalen Partnern, mit dem Ziel, das Leben von Zivilisten vor den Einheiten von Muammar al-Gaddafi zu schützen“, nennt Weißes-Haus-Sprecher Jay Carney die Aktion. Alles klar? So sprechen Politiker, wenn sie etwas zu verbergen haben.
Sonderlich populär ist der Waffengang nicht in Washington: Kein Wunder, dass die Regierung die Übergabe des Kommandos zur Durchsetzung des Flugverbots an die Nato, auf die sich die 28 Mitglieder des Bündnisses in der Nacht zum Freitag in Brüssel einigten, bereits als Erfolg feiert. Das Weiße Haus wird nicht müde zu betonen, dass sich die Militärs nach der Kommando-Übergabe an die Nato massiv zurückziehen wollen.
Im Klartext: Keine weiteren US-Jets mehr am Himmel von Libyen. Stattdessen lediglich „Unterstützung und Hilfe“. Etwa Störung des libyschen Radars, vielleicht Einsatz von AWACS-Flugzeugen. „The USA in the backseat“ nennen das Washington-Insider - die USA auf dem Rücksitz.
Verkehrte Welt? Ob Kuwaitkrieg 1991, Bosnien oder Afghanistan - wenn bislang Militäraktionen der internationalen Gemeinschaft angesagt waren, galt die eiserne Regel, dass die „Weltmacht Nummer eins“ am Steuer saß. Etwas anderes war schlichtweg nicht vorstellbar. Paradigmenwechsel in Washington?
Von Anfang an brachte Obama keine sonderliche Begeisterung für die Libyen-Mission auf - noch skeptischer waren seine Militärs. Kein Wunder: Nach zwei problematischen Kriegen in muslimischen Ländern - Irak und Afghanistan - haben die USA wenig Neigung, eine dritte Front zu eröffnen. „Schnell wieder raus“ lautete die Parole.
Ob die Rechnung aufgeht, ist angesichts der Nato-Kakophonie eher fraglich. Die Allianz ist derart zerstritten, dass sie lediglich das Kommando über die Einhaltung der Flugverbotszone übernimmt. Zu einer Verantwortung für Attacken auf Bodentruppen von Machthaber Muammar al-Gaddafi konnte sich die Allianz dagegen nicht durchringen.
Dabei greifen Gaddafi-treue Bodentruppen weiter Rebellen und Zivilisten an, mit Panzern und schwerer Artillerie. Nur ein Beispiel: Bei tagelangen Kämpfen um die Hafenstadt Misurata sollen laut CNN über 100 Menschen ums Leben gekommen sein. Experten betonen: Nur mit der Flugverbotszone komme man Gaddafi nicht bei. Müssen die USA doch noch mal ran?
Zudem droht weiterer Unbill: Das Parlament fühlt sich von Obama übergangen - und zudem schlecht informiert über das wirkliche Kriegsziel. „Es ist bedauerlich, dass keine Gelegenheit ergriffen wurde, die Führer im Kongress zu konsultieren, wie es bei Ihren Vorgängern üblich war“, äußert sich verschnupft John Boehner, der starke Mann der Republikaner im Abgeordnetenhaus, an die Adresse Obamas.
Doch potenziell riskanter ist Boehners Forderung, dass der „Commander in Chief“ endlich klarmachen solle, was er eigentlich mit der Libyen-Mission wolle. Es gebe „widersprüchliche Botschaften“ und „Mangel an Klarheit“. Boehners Frage trifft den Kern: Das unklar und schwammig formulierte Kriegsziel ist die Achillesferse Obamas.
Tatsächlich unternehmen Regierung und Militärs einen Balanceakt, der vielen schwer verständlich ist. Oberstes Ziel sei der Schutz der Zivilisten. Doch Obama forderte ausdrücklich auch den Sturz Gaddafis. Dagegen betonen seine Generäle, „Gaddafi steht nicht auf unserer Zielliste“. Angeblich sei nicht einmal Unterstützung der Aufständischen das Ziel.
Obama-Sprecher Carney sekundiert: „Wir sind nicht in einem militärisch geführten Regimewechsel engagiert“. Aber was heißt das, soll Gaddafi per Verhandlungen zur Aufgabe gebracht werden?
So deutete Außenministerin Hillary Clinton jüngst dunkel an, im Dunstkreis Gaddafis werde bereits ein Ausweg gesucht. Da gebe es „Leute im Umkreis Gaddafis“, die angeblich schon in Europa, Nahost und Afrika anklopfen und Fragen stellen: „Was tun wir jetzt? Wie kommen wir hier raus?“ Doch mehr als vage Andeutungen lieferte Clinton nicht, tatsächlich hinterließ sie reichlich Irritationen. Gaddafi wirft das Handtuch - Wunschdenken der Ministerin?
Immer häufiger geht in Washington die Frage nach dem „endgame“ um. Wie wird das Abenteuer Libyen ausgehen? Verteidigungsminister Robert Gates, ein Mann im Rentenalter, der nur noch wenige Monate im Amt ist, nimmt sich die Freiheit, ehrlich und ohne politische Rücksichten zu sprechen. „Ich denke, es gibt hier eine Anzahl von möglichen Ergebnissen.“ Dann fügt er hinzu: „Und niemand ist in der Lage, dies vorauszusagen.“