Analyse: Politisches Erdbeben für Schwarz-Gelb
Berlin (dpa) - Schon am frühen Morgen ist klar, dass die Kanzlerin ein ziemlich großes Problem hat. Angela Merkel, die gerade auf der Computermesse CeBIT einen Rundgang macht, verlässt abrupt den Pulk von Managern und Journalisten.
Ein dringender Anruf erreicht sie auf ihrem Handy. Für gut zehn Minuten zieht sich die CDU-Chefin zurück.
Es folgen hektische Telefonate mit den Spitzen ihrer Bündnispartner, Horst Seehofer (CSU) und Guido Westerwelle (FDP). Wenig später dann meldet die „Bild“-Zeitung: „Guttenberg tritt zurück“. Vermutlich hat Guttenberg in dem Telefonat Merkel zuvor über sein Rücktrittsgesuch informiert.
Nur Minuten später - um 10.34 Uhr - lädt das Verteidigungsministerium für 11.15 Uhr zu einem Statement Guttenbergs in seinem Ministerium im Bendlerblock ein. Spätestens da ist klar, dass der Druck durch die Plagiatsaffäre zu groß ist. Der bis zuletzt beim Volk beliebteste Politiker Deutschlands tritt zurück - und beschert der Union kurz vor den wichtigen Landtagswahlen ein Riesenproblem.
Guttenberg tritt um 11.16 Uhr mit einem „Grüß Gott“ vor die Kameras. Zwei Wochen sind vergangen, seit die „Süddeutsche Zeitung“ erste Informationen über kopierte und nicht angegebene Stellen aus anderen wissenschaftlichen Arbeiten veröffentlichte. Gleich zu Beginn seiner Erklärung sagt er: „Es ist der schmerzlichste Schritt meines Lebens.“
Er gehe nicht wegen der Fehler, die er bei der Doktorarbeit gemacht habe, sondern weil seine Arbeit die ungeteilte Konzentration auf die von ihm angestoßene größte Bundeswehrreform in der Geschichte der Bundesrepublik verlange, sagt der scheidende Minister.
Er ziehe die Konsequenz, die er auch von anderen verlangt habe, sagt der 39-Jährige. Er stehe zu seinen Schwächen und Fehlern - er gibt aber auch den Medien eine erhebliche Mitschuld, sie hätten die Plagiatsaffäre unnötig aufgebauscht.
Guttenberg spricht von einer „medialen Verzerrung“ und einer „dramatischen Verschiebung“ der medialen Wahrnehmung. Er könne es nicht mittragen, dass die Affäre auf dem Rücken der Soldaten ausgetragen werde, die in Afghanistan getötet und verletzt würden.
Die Opposition erklärt umgehend, Guttenberg versuche selbst im Rücktritt, die Schuld auf andere abzuwälzen und sich als volksnaher Politiker anderen Typs zu gerieren. Seine letzten Worte als Minister passen in dieses Bild: „Abschließend ein Satz, der für einen Politiker ungewöhnlich klingen mag. Ich war immer bereit zu kämpfen, aber ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht.“
Zu den Vorwürfen, er hätte früher zurücktreten müssen, sagt der gefallene CSU-Star: Es sei eine Frage des Anstandes gewesen, zunächst die drei in Afghanistan gestorbenen Soldaten zu Grabe zu tragen. Er werde sich nun nach Ende seiner Ministertätigkeit an der Aufklärung der Vorwürfe gegen ihn in Zusammenhang mit seiner Doktorarbeit beteiligen. Inzwischen stehen 270 Seiten unter Plagiatsverdacht. Auch Staatsanwälte könnten sich schon bald dafür interessieren.
Seit dem Wochenende war vor allem der Druck aus der Wissenschaft enorm geworden. Über 30 000 Wissenschaftler sprachen von einer Verhöhnung ihrer Zunft, falls Guttenberg im Amt bleibe. CDU-Bildungsministerin Annette Schavan sagte, sie schäme sich. Zuletzt hatte sich sogar der von Guttenberg so geschätzte Doktorvater Peter Häberle bestürzt gezeigt, wie sehr er von seinem Doktoranden hinters Licht geführt worden sei.
Häberles Nachfolger, der Bayreuther Jura-Professor Oliver Lepsius, hatte stellvertretend für viele in der Wissenschaft mit großer Schärfe davon gesprochen, dass man einem Betrüger aufgesessen sei. Auch die Opposition hatte im Bundestag Guttenberg als Hochstapler beschimpft.
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sieht jetzt auch die Kanzlerin schwer beschädigt, deren Taktik der gespaltenen Persönlichkeit - hier der beliebte Minister, da der fehlbare Wissenschaftler - krachend gescheitert sei. „Damit wird die ganze Angelegenheit zu einer Riesenblamage für die Kanzlerin, die bis zuletzt geglaubt hat, sich durch diese peinliche Affäre lavieren zu können.“ Merkel habe dem Ansehen der Demokratie geschadet.
Und was wird aus Guttenberg? Dass gestürzte Helden in der Politik durchaus ein Comeback feiern können, zeigte ausgerechnet der CSU-Übervater Franz-Josef Strauß. Er trat 1962 wegen der „Spiegel-Affäre“ zurück, kam dann 1966 als Finanzminister zurück und wurde 1980 Unions-Kanzlerkandidat. Der Bayreuther Professor Lepsius betont: „Er kann eine zweite Chance haben. Die muss er sich aber erarbeiten, die fällt ihm nicht in den Schoß“.