Analyse: Röslers letzte Chance
Karlsruhe (dpa) - Früher waren sie Freunde. Jetzt reicht es nur noch für einen Handschlag. Philipp Rösler nimmt nach seiner Rede den Glückwunsch kurz an, klopft Christian Lindner auf die Schulter, dann haben es beide hinter sich.
Dieses Bild aus Karlsruhe braucht die FDP, um alle Putschgerüchte so kurz vor den wichtigen Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen verstummen zu lassen. Aber ein harmonischer Parteitag sieht anders aus.
Denn fast jedem in der Messehalle ist am Samstag klar, dass Ex-Generalsekretär Lindner längst ein Parteichef in Reserve ist. Nur 22 Minuten dauert sein „Grußwort“ zu den 660 Delegierten. Das reicht dem 33-Jährigen locker, sein Können zu beweisen. Wohl dosiert, um die eigenen Ansprüche deutlich zu machen, aber das Drehbuch für das Treffen nicht über den Haufen zu werfen.
Den Namen Rösler nimmt Lindner nur einmal in den Mund, dankt ihm förmlich für die Hilfe im Wahlkampf. Viel mehr kritisiert er Stil und Substanz im liberalen Regierungshandeln in Berlin, fordert mehr Souveränität. Lindner war zwar als Generalsekretär zwei Jahre selbst mit für das schlechte Erscheinungsbild verantwortlich. Jetzt aber braucht er die Abgrenzung von Rösler, um in Düsseldorf über fünf Prozent zu kommen.
Seinen Kritikern, die ihm im Dezember nach dem Rücktritt Fahnenflucht vorwarfen, sagt Lindner: „Ich scheue mich nicht vor schwierigen Aufgaben.“ Vielleicht bekommt dieser Satz in drei Wochen noch mehr Gewicht. Fliegt die FDP erst in Kiel und dann in Düsseldorf aus dem Landtag, dürfte es für Rösler ganz eng werden - als Parteichef, als Vizekanzler und Wirtschaftsminister gleich mit.
In Karlsruhe hält er seine dritte wichtige Rede als Bundesvorsitzender. Bei seiner Wahl im Mai 2011 in Rostock überraschte er die Basis mit einem klugen, teils selbstironischen Auftritt. Er bekam 95 Prozent und wollte den dramatischen Niedergang der Liberalen stoppen.
Nach den vernichtenden Wahlniederlagen, zuletzt im Saarland mit 1,2 Prozent, wurde aus dem Politiker Rösler - auch nach Ansicht vieler Mitglieder - ein anderer Mensch. Das mediale Dauerfeuer, die Fehden mit der Union, die Ränkespiele in der FDP, die Dreifachbelastung in Partei und Koalition haben Spuren hinterlassen. Das war schon im Januar in Stuttgart an Dreikönig zu sehen, auch in Karlsruhe ist es offensichtlich.
Rösler redet 72 lange Minuten. Viele Delegierte sind nach der Lindner-Show noch gar nicht wieder im Saal, als ihr Vorsitzender anfängt. Der 39-Jährige erwischt mit Attacken gegen Union und Opposition einen passablen Start. Dann aber dreht der Wirtschaftsminister verbale Endlosschleifen, um der Basis seine neue Wachstumsstrategie zu erklären. Steuersenkungen, einst der FDP-Schlager schlechthin, spielen überhaupt keine Rolle mehr.
Für viele Delegierte wird es zu lang. Sie vertiefen sich in Zeitschriften oder surfen auf ihren Smartphones. Beim Kameraschwenk ins Publikum werden auch Lindner und der Kieler Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki erwischt, wie sie ihre Mails checken.
Gut kommen Röslers Beschwörungen an, die FDP sei in der Koalition das „Korrektiv“ der Union, verteidige die Bürgerrechte und trete für die schwarze Null schon im Haushalt 2014 ein. Auch die Attacken gegen die Piratenpartei treffen den Nerv der Basis, obwohl Rösler nach dem Geschmack einiger überzieht. Einmal vergleicht er die Netzaktivisten mit den Seeräubern in Somalia. „Das ist mir zu plump“, meint ein Delegierter.
Röslers Vertrauter Patrick Döring wird am Abend mit 72,05 Prozent zum neuen Generalsekretär gewählt. Kein Traumstart, aber es hätte schlimmer kommen können für den Niedersachsen. Der Haushaltsexperte Otto Fricke holt als Schatzmeister 97,77 Prozent und managt nun den Schuldenberg von 8,5 Millionen Euro der Bundespartei.
Während Rösler und Döring in Karlsruhe versuchen, Alleinstellungsmerkmale der FDP zu definieren, kommen aus Hessen neue Hiobsbotschaften. Kurz nach dem Wirtschaftsminister tritt am Samstag auf Druck der Landespartei auch die FDP-Kultusministerin zurück.
Noch eine unerwartete Neuwahl sollten sich die Liberalen nicht leisten. Rösler selbst muss nun abwarten, wie die Wähler in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen entscheiden. Über sein Jahr an der Parteispitze sagt er: „Das ein oder andere hätte ich anders machen oder auch besser lassen können.“