Analyse: Russen sorgen sich um „ihre“ Halbinsel Krim
Moskau (dpa) - Aus dem ukrainischen Chaos, wie es die Russen nennen, hält sich die Führung in Moskau zumindest offiziell raus. Trotzdem gibt es für Kremlchef Putin eine rote Linie. Es geht um den alten Zankapfel Krim.
In Scharen reisen Russen in diesen Krisenzeiten der Ukraine auf die Schwarzmeer-Halbinsel. Es sind aber nicht nur Touristen, die das milde Klima schätzen, sondern auch besorgte Emissäre Moskaus. Sie ahnen, dass das seit Jahrhunderten umkämpfte Eiland seine Autonomie verlieren könnte - und damit Russland seinen Außenposten der legendären Schwarzmeerflotte. Kremlchef Wladimir Putin hat sich die dortige Marinebasis stets einiges kosten lassen. Bis heute sieht die Mehrheit der Russen - 56 Prozent laut Umfragen - die Krim als ihr Territorium.
Zwar beteuert das offizielle Moskau, dass das russische Militär nach dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch nun keineswegs das Machtvakuum ausnutzen wolle, um sich die Krim einzuverleiben. Doch ein Satz von Regierungschef Dmitri Medwedew, der sich im russischen Schwarzmeerkurort Sotschi nicht weit von der Krim äußerte, schreckte viele Ukrainer auf: „Es besteht eine reale Gefahr für unsere Interessen - sowie für das Leben und Gesundheit unserer Landsleute.“ Droht ein Einmarsch russischer Truppen?
Moskaus Militärdoktrin erlaubt einen solchen Schritt zum Schutz eigener Bürger im Ausland. Medwedew ließ diese Möglichkeit noch in seiner Zeit als Kremlchef schaffen - nach dem Südkaukasuskrieg 2008, als Georgien im Konflikt mit Russland die Kontrolle über seine abtrünnigen Territorien Südossetien und Abchasien verlor. Auf der Krim gelten heute rund 60 Prozent der Bewohner als Russen. Für die Ukraine insgesamt weisen die Statistiken sieben Millionen Russen aus - bei einer Gesamtbevölkerung von 45 Millionen.
In Moskau hat inzwischen eine heiße Debatte darüber begonnen, Ukrainer in vereinfachten Verfahren massenhaft mit russischen Pässen auszustatten. Es gehe um Hilfe für die Brüder und Schwestern im Nachbarland, heißt es etwa im Föderationsrat. Er sei auf der Krim, um Hilfsmaßnahmen auszuloten, sagte auch der Parlamentsabgeordnete Leonid Sluzki. In Moskau rief Putin den Nationalen Sicherheitsrat zusammen - mit den Chefs verschiedener Geheimdienste sowie des Verteidigungs-, des Innen- und des Außenministeriums.
„Für die Befreiung der Krim wurde so viel Blut vergossen. Dort ankert unsere Schwarzmeerflotte“, sagte Valentina Matwijenko, Vorsitzende des Föderationsrats und Mitglied im nationalen Sicherheitsrat, dem Radiosender Echo Moskwy. Sie betonte zwar nach einem Krim-Besuch, dass Russland die Autonomie anerkenne und die Regierung dort noch in der Lage sei, ihre Interessen zu schützen. „Es werden aber Schritte einer Reaktion vorbereitet“, sagte sie über die Arbeit im Sicherheitsrat.
Eingreifen können die Russen nach ihren eigenen Gesetzen nur, wenn die Krim-Führung ausdrücklich um Schutz bittet. Die rote Linie, meinte Matwijenko, werde dann überschritten, wenn rechtsradikale Kräfte aus dem nationalistisch geprägten Westen der Ukraine mit Waffen in der Hand eine Diktatur auf der Krim errichten würden. „Das verzeiht uns niemand“, sagte Matwijenko.
Immerhin begannen nach dem Machtwechsel in Kiew nun in der Großstadt Sewastopol erste größere Demonstrationen mit dem Aufruf, sich Russland anzuschließen. Nicht wenige Krim-Bewohner sind der Meinung, dass im Reich Putins - im Gegensatz zum Chaos in der Ukraine - das Lebensniveau steige und mehr Stabilität und Ordnung herrsche.
Auch das Präsidium der Obersten Rada der Autonomen Krim-Republik äußerte sich nun besorgt über die Krise im Land, die weit entfernt sei von einer Lösung. Außerdem wachse von Nationalisten der Druck auf Russen und ihre Familien. Die Krim-Führung warnte ausdrücklich vor zunehmender „Konfrontation in der Gesellschaft“. Eine Bitte um Hilfe konnte Russland daraus zunächst allerdings nicht ablesen.