Analyse: Schiedsrichter schützte Spieler nicht

Rio de Janeiro (dpa) - Um Bastian Schweinsteigers Gesundheit bangten am Ende alle deutschen Fans. Der bereits verwarnte Javier Mascherano war dem deutschen Mittelfeld-Strategen in der Verlängerung des WM-Endspiels zweimal rabiat in die Beine gefahren - ohne Gelb-Rot zu bekommen.

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Dann traf ihn der ebenfalls schon verwarnte Sergio Agüero so heftig, dass dem Bayern-Profi das Blut übers Gesicht lief. Und an der Seitenlinie tobten nicht nur Sami Khedira und Joachim Löw. Der Bundestrainer hatte bei der WM längst gefordert, die Spieler besser zu schützen.

Schiedsrichter Nicola Rizzoli aus Italien sah jedoch offenbar keine Notwendigkeit, massiv einzugreifen. Ein Verhalten, das sich bei vielen Referees wie ein roter Faden durch das Turnier zog, heftige Kritik provozierte und einen Tiefstwert von 2,8 Gelben Karten im Durchschnitt pro Spiel seit 1986 ergab. FIFA-Präsident Joseph Blatter verteidigte die Referees am Montag bei seiner WM-PK. „Wenn Sie mal genau hinschauen, werden Sie sehen: Es gab intensivere Spiele, weniger Verletzungen, mehr Leidenschaft.“

Energisch hatte sich die FIFA während des Turniers gegen Gerüchte gewehrt, dahinter stecke ein System. Der Weltverband müsse und werde die Spieler schützen, versprach man. Rizzoli leistete mit seiner laxen Pfeiferei dazu keinen Beitrag. Dabei galt er bislang als Unparteiischer, der schnell den gelben Karton zückt - und er hatte vor dem Finale vollmundig behauptet, er wolle der beste Referee der Welt sein.

Löw hatte sich schon vor dem Halbfinale kritisch über die Entwicklung geäußert, den Gelbe-Karten-Zwang bei bestimmten Spielsituationen aufzuweichen. Wenn diese so weitergehe und man die rustikalen Fouls nicht unterbinden würde, bräuchte man irgendwann keine Neymars, Messis, Özils, Götzes oder Reus' mehr, „sondern nur Zerstörer. Und das ist gefährlich.“

Der Final-Referee handelte in der entscheidenden Spielphase nicht im Sinne Löws. Mehrfach ließ Rizzoli nicht nur harte Fouls ohne Verwarnung durchgehen, sondern auch permanentes Trikotziehen. Ausgerechnet der später so übel behandelte Schweinsteiger sah in der ersten Halbzeit nach einem verhältnismäßig harmlosen Foul hingegen Gelb und diskutierte noch in der Halbzeit mit Rizzoli darüber. Nach alten Maßstäben wäre dies vertretbar gewesen - im Vergleich zu anderen WM-Verfehlungen war die Verwarnung ein Witz.

Klagen über den Referee gab es von deutscher Seite im allgemeinen Jubel um den WM-Titel nicht - aber aus Argentinien. Da fühlte man sich nach der 0:1-Niederlage gar von einem bösen Geist von 1990 eingeholt, einem Geist namens Edgardo Codesal. Der mexikanische Schiedsrichter hatte damals im WM-Finale bei Rudi Völlers Sturzflug den Elfmeter gepfiffen, den Andreas Brehme zum 1:0 verwandelte. „Der italienische Codesal“, schrieb die Sportzeitung „Olé“ über Rizzoli. „Er raubte uns die Illusion, Weltmeister zu werden.“

Im Maracanã hatte Torhüter Manuel Neuer in der 56. Minute den Ball weggeboxt, wobei er Gonzalo Higuaín mit seiner ganzen Wucht umstieß. Argentiniens Mascherano wollte aber nicht über einen nicht gegebenen Strafstoß lamentieren. „So wie wir es verstehen zu gewinnen, müssen wir auch verlieren können. Der Schiedsrichter hat nichts beeinflusst“, sagte der Barcelona-Profi. Und durfte froh sein, dass das Finale für ihn nicht mit einem zwingend notwendigen Platzverweis geendet hatte.