Analyse: Stochern im Nebel geht weiter
Berlin (dpa) - EHEC - der Keim ist heimtückisch, kann bleibende Schäden hinterlassen, und er verbreitet sich schnell. Auf mindestens 140 schwere Fälle schwoll die Infektionswelle bisher an, insgesamt sollten 600 Menschen erkrankt sein.
Mindestens zwei Frauen starben an dem Erreger.
Doch so sehr Klarheit über die EHEC-Infektionen herbeigesehnt wird - so unsicher ist die Lage. Auch für die Fachleute vom Robert Koch-Institut erhellt sich das Bild erst langsam. Aufgrund einer unter Hochdruck erstellten Studie greifen die Experten jetzt zum Hammer: Vorsorglich sollte man auf rohe Tomaten, Salatgurken und Blattsalate aus Norddeutschland komplett verzichten.
Tagelang überließen die Politiker den Fachleuten das Feld. Als sie am Mittwoch mit ernster Miene auf den Plan traten, machten sie das Ausmaß der Gesundheitkrise klar. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner sprach von einer „bedrohlichen Situation“. Die CSU-Politikerin und ihr Kollege vom Gesundheitsressort, Daniel Bahr (FDP), zeigten sich aber auch zuversichtlich, dass das RKI bald Erfolg hat. „Ich bin optimistisch, dass die Mitarbeiter der Robert Koch-Instituts schnell die Ursache finden können“, sagt Bahr. Dann wäre alles einfacher - Infektionswege könnten unterbrochen, die Quelle vielleicht sogar schnell zum Versiegen gebracht werden.
Mit seitenlangen Fragebögen versuchen die RKI-Spezialisten, bei betroffenen Patienten den Weg des Keims zu entschlüsseln. Wo sind Gemeinsamkeiten? Waren es wirklich Salatbars, die Menschen, die sich gesund ernähren wollten, zum Verhängnis wurden? Spielte Gülle auf den Feldern eine Rolle? Die am Abend publik gemachte Studie zeigt: Patienten haben häufiger rohe Tomaten, Salatgurken und Blattsalate gegessen. Ob nur eine oder mehrere dieser eigentlich gesunden Leckereien mit EHEC in Verbindung stehen, sei unklar. Auch andere Lebensmittel könnten in Frage kommen. Und Aussagewert hat die Studie vor allem für Hamburg. Doch der Rat zum Komplettverzicht im Norden im Rohzustand trifft Millionen Menschen, Bauern und Händler.
Schon am Morgen fiel das sorgenvolle Gesicht von RKI-Chef Reinhard Burger auf dem Weg zum Gesundheitsausschuss des Bundestags auf. Vielleicht könne man gar keine stichhaltigen Nachweise einer bestimmten Infektionsquelle finden, meint Burger. Doch wäre das möglicherweise nicht die schlechteste Variante - denn wenn leicht verderbliche Waren verantwortlich wären, die schon alle aufgegessen sind, wäre die Quelle damit ja wohl bereits versiegt.
„An sich muss das jetzt abfallen, das kann nicht weitergehen“, sagt Burger vor den Ausschusstüren. Doch gilt das laut RKI nur dann, wenn nun ein Verursacher-Lebensmittel gefunden wird oder es sich eben um ein Lebensmittel von kurzer Haltbarkeit handelt.
Beruhigendes kommt auch den Abgeordneten nicht über die Lippen. „Die starke Anhäufung von Infektionen und die Todesfälle sind sehr besorgniserregend“, sagt der CDU-Fachpolitiker Jens Spahn. Dreierlei sei jetzt an der Tagesordnung: gute Behandlung der Patienten, die Einhaltung aller Hygieneregeln und die weitere Erforschung. Ins Detail geht der Bundespatientenbeauftragte Wolfgang Zöller (CSU) - so seien etwa auch Küchentücher zu waschen, wenn man damit Arbeitsflächen abgewischt hat, und zwar „mindestens bei 60 Grad“.
Karl Lauterbach von der SPD warnt vor einer Entwarnung. „Wir müssen weiter vorbereitet sein, weil es eine gefährliche Epidemie werden könnte.“ Es könnte aber auch sein, dass die Höhepunkt der Infektionswelle schon erreicht ist - und EHEC bei der breiten Masse der Bevölkerung bald wieder in den Hintergrund rückt.