Analyse: Ukraine-Hilfen könnten nach Moskau fließen
Frankfurt (dpa) - Die Ukraine steht vor dem Bankrott. Nach dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch sind die Kassen leer. Um den Verfall der Landeswährung Griwna aufzuhalten, musste die Zentralbank an ihren Devisenreserven zehren.
Es besteht kein Zweifel: Ohne Hilfe aus dem Ausland können die Rechnungen bald nicht mehr bezahlt werden. „Die ukrainische Regierung braucht externe Finanzierungsmittel, um den Zahlungsausfall zu vermeiden“, warnt die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P). Das Problem: Der wichtigste Geldgeber der Ukraine ist bislang Russland.
Um Janukowitsch einen Rettungsring zuzuwerfen, hatte der Kreml seiner Regierung kurz vor dem Umsturz Anleihen im Wert von drei Milliarden US-Dollar abgekauft. „Der Schuldendienst könnte in den nächsten zwei Jahren den größten Teil der Hilfszahlungen von USA und EU aufzehren“, erklärt Rechtsprofessorin Anna Gelpern von der Universität Georgetown in einem Blogbeitrag für die renommierte Washingtoner Denkfabrik Peterson Institute.
Ihrer Einschätzung nach sollte die Ukraine die Drei-Milliarden-Anleihe nicht zurückzahlen. Nach Gelperns Argumentation verstößt die letzte Kreditvergabe Russlands an die Janukowitsch-Regierung gegen juristische Grundsätze der Staatsfinanzierung - Fachbegriff: „Odious Debt“ (deutsch: verabscheuungswürdige Schulden). Demnach kann eine Forderung rechtlich als hinfällig bewertet werden, wenn die Schulden von einem despotischen Regime gegen den Willen des Volkes aufgenommen wurden. Als historisches Beispiel, bei dem Gläubiger auf diese Weise ausgebremst wurden, führt Gelpern den Irak unter Saddam Hussein an.
Ökonom Christian Schulz von der Berenberg Bank ist skeptisch: „Auch Griechenlands linksradikale Syriza argumentiert mit „Odious Debt“, was zeigt wie inflationär der Begriff verwendet wird.“ Das Bündnis kokettiert öffentlich damit, den Schuldendienst der Vorgängerregierung einzustellen, wenn es an die Macht kommen sollte. Allerdings wurden diese Ankündigungen bei den Europartnern und internationalen Kreditgebern nie sonderlich ernst genommen.
Die politisch ohnehin hochbrisante Situation in der Ukraine würde sich aber weiter zuspitzen, wenn Russland verboten würde, die Forderungen zu vollstrecken. Zumal britische Richter die Entscheidung fällen müssten, da die Anleihen unter internationalem Recht aufgelegt wurden. Und dieser Aspekt der Rettungsbemühungen zeigt ohnehin nur einen Teil der verworrenen Lage auf. Bei einem Hilfsprogramm für die Ukraine drohen noch etliche andere Fallstricke.
Zunächst muss die Frage geklärt werden, ob eine harte Umschuldung wie in Griechenland oder Zypern nötig wäre. Experten sind uneins. Zuletzt lag die Schuldenquote noch bei vergleichsweise geringen rund 40 Prozent. „Vom wirtschaftlichen Potenzial her müsste die Ukraine fähig sein, solche Schulden zu tragen“, sagt Berenberg-Volkswirt Schulz. Sein Kollege Robert Burgess von der Deutschen Bank geht jedoch davon aus, dass steigende Zinsen, Rezession und Währungsschwäche die Quote bald deutlich über 60 Prozent steigen lassen.
Dieser Wert ist kritisch. Denn Russland hat sich eine Klausel in seine ukrainischen Anleihen einbauen lassen, die es erlaubt, den Kredit komplett fällig zu stellen, wenn die Staatsschulden über 60 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt steigen. Sollten die angenommenen 35 Milliarden Euro an Hilfskrediten, die die ukrainische Übergangsregierung für nötig hält, auf die Staatsschulden angerechnet werden, könnte der Kreml in großem Stil abkassieren. USA, EU und Internationaler Währungsfonds (IWF) stecken also in der Zwickmühle.
Ein Schuldenschnitt würde so oder so ein juristisches Schlachtfeld hinterlassen. Ähnlich wie in Griechenland oder Argentinien dürften auch in der Ukraine schon spekulative Investoren Schlange stehen, die sich auf das Ausschlachten ausfallbedrohter Forderungen spezialisiert haben. Laut einer Aufstellung der Nachrichtenagentur Bloomberg hält inzwischen alleine ein Fonds der US-Vermögensverwaltung Franklin Templeton fast 20 Prozent der ausstehenden Staatsschulden. Und im Gegensatz zu den wirklich berüchtigten „Geierfonds“ wie NML Capital aus New York gilt Templeton noch als sehr gemäßigter Akteur.