Analyse: Ukraine-Krise überschattet auch G20-Gipfel
Brisbane (dpa) - Wie ein Zar hält Kremlchef Wladimir Putin in seinem Hotel im Stadtzentrum des sommerlich warmen Brisbane Hof für die Mächtigen der Welt.
Bis tief in die Nacht geben sich hier im Hilton Politiker die Klinke in die Hand, um mit dem russischen Präsidenten zu sprechen. Kanzlerin Angela Merkel bleibt gleich mehrere Stunden. Sie hat seit langem den besten Draht zu dem 62-Jährigen. Es ist ein Gespräch, das die verhärteten Fronten im blutigen Ukraine-Konflikt klären soll. Wieder einmal. Aber die Atmosphäre ist trotz Außentemperatur von über 30 Grad frostig.
Viele inhaltlich wertvolle Gespräche über die Lage habe er mit Kollegen geführt, sagt ein ausgeruhter Putin. Der Ex-Geheimdienstchef hat Merkel, aber etwa auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Einzelgesprächen getroffen. Es ging um „Feinheiten“ der Krise, wie Putins Sprecher Peskow vieldeutig sagte. Nach nicht einmal 48 Stunden in Australien beim G20-Gipfel hofft der Kremlchef, dass Moskaus Politik vielleicht nun mehr Verständnis entgegengebracht wird.
Im Kern geht es darum: Der Russe will mit seinen Interessen respektiert werden. Die Sanktionen gegen sein Land im Ukraine-Konflikt verurteilt Putin erneut als „Verstoß gegen internationales Recht“. Er macht deutlich, dass er sich dem Druck des Westens mit seinen geopolitischen Interessen niemals beugen wird - Strafmaßnahmen hin oder her. Ja, die Sanktionen und der niedrige Ölpreis machten Russland zu schaffen. Aber Russland überstehe das.
Kanzlerin Merkel will vorerst die Schrauben nicht weiter andrehen. „Es ist ja auch unübersehbar, dass diese geopolitischen Spannungen, zu denen auch das Verhältnis zu Russland gehört, nicht gerade wachstumsfördernd sind“, sagt sie. Neben den offiziell diskutierten Fragen, wie die Weltwirtschaft angekurbelt, rückläufiges Wachstum verhindert und der Finanzmarkt mit seinen Schattenbanken reguliert werden kann, ist die Krise das dominierende Randthema.
Aus Gesprächen wird auch bekannt, dass Putin dem Westen und der Nato weiter ein Feind-Denken wie im Kalten Krieg unterstellt. Dass die Ukraine - seit Jahrhunderten strategisch wichtig für Russland - dem westlichen Militärbündnis beitreten könnte, will er demnach nicht hinnehmen, auch wenn es dafür gar keine realistischen Pläne gibt.
Der in Brisbane als „Führer der freien Welt“ von den Australiern begrüßte US-Präsident Barack Obama nennt Russland bei einer Rede vor Studenten einmal mehr „Aggressor“. Spätestens da ist klar, dass der Amerikaner und der Russe bei diesem Gipfel zu einem Zweiergespräch in ihren schwersten Krisenzeiten seit dem Zerfall der Sowjetunion nicht mehr zusammenkommen.
Gäste hat Putin trotzdem reichlich: Frankreichs Staatschef François Hollande duzt ihn öffentlich, wie auch das russische Staatsfernsehen erfreut herausstreicht. Hollande lässt hier wissen, dass er bei der geplanten Lieferung des Kriegsschiffs der Mistral-Klasse klar den Interessen Frankreichs folgen werde. Washington versucht seit langem Paris davon abzubringen, Moskau diese hochkomplexe Militärtechnologie zu übergeben.
Wie Hollande erscheint auch Merkel nicht mehr ganz so desillusioniert nach dem Gespräch mit Putin wie bei der Anreise. Die etwa 40 Krisen-Telefonate oder Treffen mit Putin haben im Ukraine-Konflikt bisher zwar keinen Frieden gebracht. Als sich die beiden wiedersehen, mehr als 10 000 Kilometer vom herbstlichen Europa entfernt, wechseln sie aber weiter freundlich Worte und Gesten. Von einer ruhigen Atmosphäre des Zuhörens ist im Anschluss die Rede.
Es gibt keine Vereinbarungen. Aber die Hoffnung, dass sich das Verständnis für die gegenseitigen Interessen verbessert. Trotzdem schießen in der Ukraine auch am Wochenende weiter ukrainische Regierungstruppen und Separatisten - ein Verstoß gegen das Minsker Friedensabkommen.
Die Differenzen im Konflikt mit bisher mehr als 4000 Toten bleiben auch nach dem Gipfel, das ist auch vielen Politikern anzumerken. Hat sie Putin zum Nachdenken gebracht? Viele Tage sah sich der Russe hier als „Tyrann“ am Pranger - vor allem in den Medien. Kurz vor seinem eiligen Rückflug am Sonntag sagt er aber, dass die Gipfelwelt ganz anders als die der Medien gewesen sei - insgesamt freundlich und sachlich, ohne offenen Affront.
Der Druck auf Putin war dennoch groß. Er trete aber nicht deshalb eilig und ohne feierliches Abschlussessen die Heimreise an, betonte der 62-Jährige. Nach mehr als einer Woche auf Reisen wolle er nur so rasch wie möglich wieder nach Moskau. Da warte am Montag die Arbeit auf ihn.