Analyse: „Verwässern, verschleiern, beschönigen“
Berlin (dpa) - „Manipulation“, “Bilanzfälschung“, “Schönfärberei“: Die Vorwürfe könnten massiver nicht sein. Verwundert reiben sich viele Beobachter die Augen, weil die schwarz-gelbe Bundesregierung offensichtlich eine ungleiche Verteilung der Privatvermögen nicht erkennen kann.
Es ist wie immer eine Frage des Standpunkts: Die einen schlagen Alarm wegen der stetigen Zunahme von Niedriglohn-Jobs in Deutschland. Die anderen dagegen freuen sich über den daraus resultierenden Beschäftigungs-Höchststand. Wie diese Entwicklung zu deuten sei, darauf will die Bundesregierung mit ihrem neuen Armuts- und Reichtumsbericht Antwort geben. Noch liegt er offiziell gar nicht vor - doch für Empörung sorgt er bereits vorab.
Über Zeitungsberichte wurde bekannt, dass der Entwurf - Mitte September von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in die Ressortabstimmung gegeben - zwischenzeitlich an etlichen Stellen erheblich geglättet wurde. Waren es neue Einschätzungen im Lichte neuer Zahlen oder einfach parteipolitisch motivierte Manipulationen, wie Kritiker mutmaßen, damit das Ganze in einem freundlicheren Licht dasteht? Auch dazu gehen die Aussagen weit auseinander.
Fest steht: Den Satz „Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt“ aus der ersten Fassung des Dokuments gibt es nicht mehr. Aufgefallen war das der „Süddeutschen Zeitung“. Nicht mehr vorhanden sind danach auch Formulierungen, mit denen die Beamten aus dem Ressort von der Leyens einen durchaus kritischen Blick auf die Republik warfen, etwa zur Entwicklung der Einkommen.
In der ersten Variante stand dem Bericht zufolge: „Während die Lohnentwicklung im oberen Bereich positiv steigend war, sind die unteren Löhne in den vergangenen zehn Jahren preisbereinigt gesunken. Die Einkommensspreizung hat zugenommen.“ Diese verletze „das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung“ und könne „den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden“.
Nun werden sinkende Reallöhne als „Ausdruck struktureller Verbesserungen“ am Arbeitsmarkt beschrieben. Immerhin entstanden zwischen 2007 und 2011 viele neue Vollzeitjobs im unteren Lohnbereich - und die brachten zwei Millionen Erwerbslose in Arbeit.
Entfallen ist nach Informationen der „Mitteldeutschen Zeitung“ der kritische Hinweis auf die sich aus Niedriglöhnen ergebende Gefahr von Altersarmut: „Stundenlöhne, die bei Vollzeit zur Sicherung des Lebensunterhaltes eines Alleinstehenden nicht ausreichen sowie eine einseitige und polarisierende Lohnentwicklung generieren, verschärfen Armutsrisiken und schwächen den sozialen Zusammenhalt.“
Gestrichen wurde auch die Aussage aus dem ersten Entwurf, wonach die Bundesregierung prüfen werde, „ob und wie über die Progression in der Einkommensteuer hinaus privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden kann“. Jetzt will sich die Regierung nur noch dafür einsetzen, das freiwillige Engagement Vermögender einzuwerben.
Der DGB kreidet der Regierung an, sie wolle „verwässern, verschleiern und beschönigen“. Für den Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, steht fest: „Der zum Teil schonungslosen Analyse im ersten Entwurf (...) wurden offensichtlich in zentralen Passagen sämtliche Zähne gezogen.“
Selbst Fakten tauchen laut „SZ“ in dem Bericht nicht mehr auf. In der ersten Version hieß es: „Allerdings arbeiteten im Jahr 2010 in Deutschland knapp über vier Mio. Menschen für einen Bruttostundenlohn von unter sieben Euro.“ Der Satz wurde gestrichen.
Gegen den Vorwurf der Schönfärberei nahm das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) die Regierung in Schutz. Der Vorwurf sei „unhaltbar“, meinten die Kölner Wissenschaftler. Das gebetsmühlenhaft vorgetragene Mantra „Die Armen werden immer ärmer, die Reichen immer reicher“ stimme nicht. Die Regierung habe mit geänderten Formulierungen lediglich auf neue, zuvor nicht bekannte Zahlen reagiert. Es sei also gut begründbar, „die Situation differenzierter darzustellen als dies der erste Entwurf des Berichts vorsah“.