Analyse: „Xaver“ tobt an der Nordsee
Hamburg/Husum (dpa) - Das Orkantief „Xaver“ hat auch in der Nacht zu Freitag Norddeutschland durchgepustet. Besonders an der Nordsee auf den Halligen bangten die Bewohner vor dem Hochwasser.
Die Schäden sind aber in Schleswig-Holstein und andernorts zunächst geringer als befürchtet - auch wenn die Orkanböen am Freitag noch teilweise extrem stark fauchen. Am Morgen waren die Sorgen in Hamburg besonders groß.
In der Millionenstadt überspült das Wasser in den tieferen Gebieten nahe der Elbe Zentimeter um Zentimeter Land. Zum Fischmarkt führt kein Weg mehr. Zwar müssen die meisten Menschen dort nicht ihre Häuser verlassen, doch das Wasser steht in den Straßen - und einige Schaulustige hinter den schützenden Fluttoren.
Eine Seniorenresidenz am Fluss wird zur eingeschlossenen Insel. Plätze in der historischen Speicherstadt und der Hafencity laufen voll. Hier und da schwimmt ein umgekippter Müllcontainer vorbei. Aus Gullideckeln sprudelt das Wasser. Es ist am Freitag ein nasses und stürmisches Erwachen in der Hansestadt.
Nicht alle Hamburger scheinen die Warnungen rechtzeitig erreicht zu haben - auch ein geparktes, mit Wasser vollgelaufenes Auto ist zu sehen. „Der Platz da vorne wird in zehn Minuten unter Wasser stehen“, warnt ein Polizist. Blaulicht blitzt in der Nacht immer wieder auf - die Beamten haben sich an den Zufahrtstraßen zu den gefährdeten Gebieten postiert. Viele Ecken Hamburgs sind leer gefegt, in den Straßen toben sich Sturmböen und Graupelschauer aus.
An der Küste donnern in der Nacht die Nordseewellen dumpf in der Ferne, der Wind kreischt. Der Orkan lockt auch in der Nacht noch einen Katastrophen-Touristen nach St. Peter-Ording. Mario Blume aus Hamburg, der trotz Verbots mit zwei Freunden über die wegen des Sturms gesperrte Seebrücke zum tosenden Meer laufen und die nächtliche Sturmflut erleben will, wird von einer Windböe zu Boden geschleudert. Er rutscht mehrere Meter über die regennassen Holzplanken der Brücke, hat aber Glück und bleibt unverletzt.
Auf der größten Hallig Langeneß halten an der besonders gefährdeten Nordwestspitze manche Warften der schweren Sturmflut und den Böen von Orkan „Xaver“ nur knapp stand. Am Hotel „Anker's Hörn“ spritzen Nordseewellen am Freitagmorgen fast bis auf den Rand der 5,30 Meter hohen Warft. Bei nächtlichen Rundgängen wird die Lage kontrolliert. Im Kegel der Taschenlampe schäumt die Nordsee knapp bis an die Füße, der Sturm reißt den Männern fast die Beine weg. Mit Sandsäcken und Wasserabweisern vor den Häusern, Schotten an Fenstern und Türen haben die Bewohner ihre Häuser geschützt.
Die Feuerwehr, die die Nacht über im Nordsee-Badeort St. Peter-Ording Kontrolle fährt, ist froh: Die Helfer entdecken kaum Schäden. Nur Blumenkübel und Mülltonnen sind umgekippt. Auch die 300 Deichgänger an den Küsten sind erleichtert. Nach der zweiten Sturmflut binnen weniger Stunden stellten sie in Nordfriesland bisher keine nennenswerten Schäden an den Deichen fest, wie Kreissprecher Hans-Martin Slopianka berichtet.
Nach rund 16 Stunden kann der Landrat des Kreises Nordfriesland, Dieter Harrsen, den Katastrophen-Voralarm um 3.52 Uhr wieder aufheben. Das Orkantief „Xaver“ hat wesentlich geringere Schäden verursacht als Vorgänger „Christian“ Ende Oktober, lautet das Fazit des Krisenstabs.