Analyse: Zwischen Eier- und Schleiertänzen

Berlin (dpa) - Wolfgang Schäuble weiß nur zu gut, dass dies kein Heimspiel ist. Der Finanzminister verzichtet auf jede Polemik, als er am Freitagmorgen vor den Bundestag tritt, um die neuen Milliardenhilfen für Griechenland zu rechtfertigen.

Er lobt die Erfolge Athens, verteidigt die Krisenpolitik der Europäischen Union, beschwört den Zusammenhalt der Eurozone, warnt vor den Folgen eines Staatsbankrotts: „Es könnte ein Prozess in Gang gesetzt werden, an dessen Ende der ganze Euroraum auseinanderbricht.“

Das sieht die große Mehrheit des hohen Hauses ähnlich. Zumindest im Prinzip. Trotzdem ist die Begeisterung darüber, immer neue Löcher im Staatshaushalt des taumelnden Mittelmeerstaates stopfen zu müssen, denkbar gering. Nicht nur in der Opposition, sondern auch in der Koalition. Das weiß auch Kanzlerin Angela Merkel, die die Debatte auf der Regierungsbank verfolgt.

Doch auch in der SPD brodelt es. Nur mit Mühe haben Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und Sigmar Gabriel die Reihen in der Fraktion schließen und zahlreiche Abgeordnete davon abhalten können, Merkels Eurokurs erstmals die Unterstützung zu versagen. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linken, Dagmar Enkelmann, beschimpft die SPD deshalb als „Umfaller der Woche“.

Steinmeier müht sich nach Kräften, diese Gratwanderung zu rechtfertigen. Er kritisiert Merkels Kurs als halbherzig und mutlos. „Ich verstehe jeden aus meiner Fraktion, dem diese Entscheidung nicht leichtfällt.“ Aber die SPD habe beschlossen, ihren Überzeugungen treu zu bleiben und die Griechen nicht im Stich zu lassen. „Wir benoten heute nicht eine Koalition in Berlin, die seit Jahren schwankt zwischen europäischer Verantwortung und antieuropäischem Geschwätz.“

Immer wieder muss Schäuble sich den Vorwurf anhören, nicht die Wahrheit über die Kosten der Griechenland-Rettung zu sagen. Tatsächlich hatte der Finanzminister am Dienstag zunächst erklärt, die jüngsten Brüsseler Beschlüsse kosteten die Steuerzahler nichts - um kurze Zeit später einzuräumen, dass der Staatskasse dadurch allein 2013 rund 730 Millionen Euro entgehen dürften.

Steinmeier wirft Schäuble deshalb einen „Eiertanz“ vor, Kollege Jürgen Trittin von den Grünen spricht von einem „Schleiertanz“, den die Regierung allein aus Angst vor den nächsten Wahlen aufführe. Wie hoch die Belastung am Ende tatsächlich sein wird, ist offen, das wird selbst in der Koalition eingeräumt. Einen Nachtragshaushalt hält Schäuble nicht für nötig, er will lediglich umschichten.

Die Linke hält das für Volksverdummung. „Das heißt doch, dass irgendwo gekürzt wird“, sagt Enkelmann. FDP-Chef Rainer Brüderle hält die Forderung nach einem Nachtragshaushalt für aufgeblasen. Trittin wiederum wertet den Verzicht darauf als Beweis, dass Schäuble seinen eigenen Leuten nicht traut.

Auf die Grünen hingegen kann sich der Finanzminister diesmal verlassen. Trittin verweist darauf, dass seine Partei schon vor sechs Monaten gefordert hat, Athen zwei Jahre mehr Zeit für die Reformen zu geben. Und mehr Zeit bedeute nun mal mehr Geld. Am Ende wird die Linke die neuen Milliardenhilfen geschlossen ablehnen, die Grünen werden als einzige praktisch geschlossen zustimmen - bei einer Enthaltung von Hans-Christian Ströbele.

Die schwarz-gelbe Koalition erreicht zwar eine klare eigene Mehrheit, verpasst aber die Kanzlermehrheit. Es ist bereits das dritte Mal in diesem Jahr, dass sie die psychologisch wichtige Marke bei einer Abstimmung über den Eurokurs reißt. Diesmal versagen 23 Koalitionsabgeordnete Merkels Kurs die Unterstützung, bei der SPD sind es 20. So richtig glücklich sieht danach kaum jemand aus.