Wer ist zuständig? Auf der Suche nach einem Post-Brexit-Streitschlichter
Brüssel/London (dpa) - Bei den Brexit-Verhandlungen zeichnet sich einer der ersten großen Konflikte ab. Es geht um die Frage, welches Gericht im Streitfall über die künftigen Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien urteilen soll.
Und wer zuständig sein soll für Fälle aus dem Vereinigten Königreich, die vor dem Brexit stattgefunden haben, EU-Recht betreffen, beim Austritt aber noch bei keinem Gericht anhängig waren.
Welche Möglichkeiten sind denkbar?
Zuständig sein könnten: britische Gerichte, der EU-Gerichtshof (EuGH) oder ein neues Schiedsgericht.
Was will die Europäische Union?
Für Brüssel ist klar: Streitschlichter kann nur der EU-Gerichtshof in Luxemburg sein. „Wir wollen, dass der Europäische Gerichtshof der letzte Garant dieser Rechte (Bürgerrechte) ist“, sagt der Brexit-Unterhändler der EU-Kommission Michel Barnier. Auch die wichtigsten Fraktionsvorsitzenden im EU-Parlament beharren in einem offenen Brief darauf, dass die Luxemburger Richter für die Durchsetzung der Rechte von allen EU-Bürgern zuständig bleiben.
Warum ist der EU das so wichtig?
Barnier fürchtet Unsicherheit bei der wirksamen und kohärenten Anwendung der Rechte von EU-Bürgern. Der Berliner Europarechtler Enrico Peuker sieht gute Gründe für eine Zuständigkeit des EuGH, aber keine zwingenden. „Die Kontinuität der Rechtsprechung wäre garantiert. Zudem entscheidet der EuGH tendenziell europafreundlich. EU-Bürger blieben damit im selben Umfang geschützt wie vor einem Brexit.“
Wie sieht Großbritannien die Sache?
In den britischen Positionspapieren zu den Brexit-Verhandlungen heißt es, die Rechtsprechung des EU-Gerichtshofs in Großbritannien solle mit dem Brexit enden. Nur bereits anhängige Verfahren sollten noch zu Ende geführt werden. Fast wie ein Mantra wird in den Unterlagen der Satz wiederholt: „Der Austritt aus der EU wird die Zuständigkeit des EuGH im Vereinigten Königreich beenden.“
Warum haben die Briten so ein Problem mit dem EuGH?
Im Wahlkampf vor dem Referendum gehörte es zum Repertoire der Brexit-Befürworter, den EuGH als Hemmschuh im Kampf gegen Terroristen darzustellen. „Ungewählte Richter“ würden verhindern, dass Verbrecher und Terroristen abgeschoben werden, war in konservativen Zeitungen zu lesen. „Den Brexiteers geht es darum, größtmögliche Souveränität zurückzuerlangen“, sagt Europarechtler Peuker. „Damit verträgt es sich nicht, noch einer fremden rechtsprechenden Gewalt unterworfen zu sein.“
Sieht die britische Premierministerin Theresa May das auch so?
Als Innenministerin scheiterte sie nach jahrelangem Streit vor einem britischen Gericht mit dem Versuch, sechs Terrorverdächtige nach Algerien abzuschieben. Die nationalen Richter stützten sich in ihrer Entscheidung auf die Europäische Menschenrechtskonvention. Mit der EU hat das nichts zu tun. May erweist sich seitdem dennoch als unerbittliche Gegnerin außer-britischer Gerichtsinstanzen. „Wir werden uns die Kontrolle über unsere Gesetze zurückholen und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Großbritannien ein Ende bereiten“, sagte sie in ihrer Grundsatzrede zum Brexit Anfang des Jahres.
Ist die Einrichtung eines Schiedsgericht als Kompromiss denkbar?
Der ehemalige Büroleiter des Brexit-Ministers David Davis, James Chapman, glaubt, dass May ihre radikale Ablehnung des EuGH nicht durchhalten kann. „Wenn sie nicht mehr Flexibilität zeigt, (...) wird sie das nicht durchs Parlament bringen“, sagte er in einem BBC-Interview Ende Juni.