Blutiger Jahrestag: Proteste, Krawalle und Todesurteile
Kairo/Istanbul (dpa) - Als die Gewalt in Ägypten erneut eskaliert, ermahnt eine der prominentesten Bloggerinnen des Landes die Randalierer: „Es ist schon genug Blut geflossen.“
Ägypter müssten zusammenhalten. Die 27-jährige Mitbegründerin der Jugendbewegung 6. April, Asmaa Mahfus, hatte im Januar 2011 mit einem Internet-Aufruf für Freiheit maßgeblich zu den ersten Massenprotesten gegen den Langzeitpräsidenten Husni Mubarak mobilisiert, die schließlich zu seinem Sturz führten. Anders als vor zwei Jahren aber verhallt ihr Aufruf heute ungehört. Bis zum frühen Nachmittag sterben 22 Menschen in der Stadt Port Said.
Auslöser der jüngsten blutigen Eskalation: die Todesstrafe gegen 21 Drahtzieher der Fußball-Katastrophe in der nördlichen Hafenstadt vor einem Jahr. Damals waren Fans des örtlichen Vereins Al-Masri nach dem Abpfiff brutal auf Anhänger des rivalisierenden Al-Ahli-Klubs losgegangen - 74 Menschen starben. Die Toten gehören inzwischen zu den offiziellen „Märtyrern der Revolution“. Wohl auch deshalb sprechen die Verwandten und Freunde der mutmaßlichen Täter in Port Said von einem politischen Urteil.
Zwei Jahre nach dem Sturz Husni Mubaraks steckt Ägypten in einer verfahrenen Situation. Die Gesellschaft des nordafrikanischen Landes ist zutiefst gespalten: Islamisten gegen Linke, Liberale und Christen; Intellektuelle und Arbeiter aus dem Norden gegen Bauern und Beduinen aus dem Süden; Anhänger des alten Systems gegen die neuen Machthaber. Und jede Gruppe hat unterschiedliche Visionen für das neue Ägypten.
Touristen und Investoren bleiben derweil fern, die Wirtschaft befindet sich im freien Fall, das ägyptische Pfund im Keller. Die Armut wächst, und ständig gibt es wegen der zerfallenden Infrastruktur schreckliche Todesmeldungen - Unglücke auf den kaputten Straßen, Schienen und in Wohngebieten wegen einstürzender Häuser.
Unsicherheit und Unzufriedenheit der Massen entladen sich regelmäßig in neuer Gewalt. So endete am Freitag der zweite Jahrestag des Aufstands gegen Mubarak in blutigen Protesten gegen seinen Nachfolger, den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi. Und so konnte ein Fußballspiel zum Schauplatz eines brutalen Massakers werden, das ebenso grausame Gerichtsurteile nach sich zieht. Während in Kairo die „Ultras“ von Al-Ahli den Richterspruch feiern, melden die Behörden aus Port Said fast minütlich weitere Tote und Verletzte.
Asmaa Mahfus sendet auf Twitter weitere Appelle und ermahnt ihre Landsleute, nach vorne zu blicken. „Lasst uns jetzt aufhören, an das bereits vergossene Blut zu denken“, schreibt sie. „Lasst uns darüber nachdenken, wie wir das Blutvergießen stoppen können.“