Bundesregierung erwartet am Wochenende 40 000 Flüchtlinge
Berlin (dpa) - Der Bund rechnet am Wochenende mit Zehntausenden neuen Flüchtlingen. „Wir erwarten allein für die nächsten zwei Tage, am Wochenende, circa 40 000 Flüchtlinge aus den südlichen und südöstlichen Nachbarländern“, sagte Außenminister Steinmeier (SPD) in Prag.
Er warb dort vergeblich bei seinen mittelosteuropäischen Kollegen für ein festes Quotensystem zur gerechteren Verteilung der Menschen in der EU.
Die für das Wochenende erwarteten Zahl der Neuankömmlinge wäre rund doppelt so hoch wie am vergangenen Wochenende, als die Bundesregierung in Absprache mit Wien und Budapest beschlossen hatte, Tausenden Flüchtlingen aus Ungarn die Einreise ohne bürokratische Hürden und Kontrollen zu erlauben. Daraufhin waren bis Montag rund 20 000 Migranten nach Deutschland gekommen.
Steinmeier sagte bei dem Außenministertreffen in Prag: „Es handelt sich um die wahrscheinlich größte Herausforderung für die Europäische Union in ihrer Geschichte. Wir sind hier auf europäische Solidarität angewiesen.“ Trotz der großen Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung würden „die Möglichkeiten bei uns immer enger“.
Die Innenminister der Länder warnten vor wachsenden Engpässen. „Wir wissen, dass auch unsere Aufnahmemöglichkeiten an Kapazitätsgrenzen stoßen werden“, sagte der Chef der Innenministerkonferenz, der rheinland-pfälzische Ressortchef Roger Lewentz (SPD), der Deutschen Presse-Agentur. „Wir brauchen Flächen, damit es eben nicht zu einem Kollaps kommt.“
Über die Balkanroute drängen immer mehr Flüchtlinge nach Westeuropa. Österreich sperrte am Freitagmorgen die Autobahn an einem Grenzübergang zu Ungarn. In der Nacht hatten dort bei Nickelsdorf wieder mehr als 2000 Flüchtlinge die Grenze überquert. Der Zugverkehr zwischen Österreich und Ungarn bleibt vorerst ausgesetzt.
Auch südlich von Ungarn sind Tausende Menschen unterwegs in Richtung Norden. In Serbien wurden allein am Donnerstag 5540 Menschen registriert, wie Regierungschef Aleksandar Vucic berichtete - ein neuer Tagesrekord. Bisher waren im Schnitt nicht mehr als 2000 Migranten aus Mazedonien in Serbien angekommen.
Ungarn hat ein hartes Durchgreifen gegen Flüchtlinge angekündigt. Falls die Regierung den Krisenfall ausrufe, werde jeder illegale Einwanderer „sofort verhaftet“, sagte Ministerpräsident Viktor Orban in Budapest nach einem Treffen mit EVP-Fraktionschef Manfred Weber. „Wir werden sie nicht mehr höflich begleiten wie bisher.“
Am kommenden Dienstag will Ungarns Kabinett entscheiden, ob der Krisenfall erklärt wird. Das würde unter anderem bedeuten, dass das Militär die Grenzschützer unterstützen darf. Separat soll das Parlament am 21. September entscheiden, ob die Armee auch dann zum Grenzschutz herangezogen werden darf, wenn kein Krisenfall oder Notstand ausgerufen wurde. Mittlerweile wurden 3800 ungarische Soldaten zu den Bauarbeiten am Zaun an der serbischen Grenze abkommandiert.
Nach Angaben des österreichischen Innenministeriums kamen seit Montag ungefähr 16 000 Flüchtlinge bei Nickelsdorf über die ungarische Grenze. Sie werden dort erstversorgt und unter anderem mit Bussen weiter Richtung Wien gebracht. Auch der Zugverkehr zwischen Österreich und Ungarn soll am Wochenende wegen „massiver Überlastung“ weiter eingestellt bleiben, wie die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) mitteilten.
In Norddeutschland hatten sich nach der vorübergehenden Schließung der Grenze durch Dänemark Hunderte Flüchtlinge mit Fähren auf den Weg nach Schweden gemacht. Der Bahnverkehr in der deutsch-dänischen Grenzregion bleibt beeinträchtigt, obwohl die Grenze wieder passierbar ist.
Wegen der aktuellen Lage sagten die Sicherheitsbehörden des Bundes ihren gemeinsamen Herbstempfang ab. Das Bundesinnenministerium wies einen Bericht zurück, nach dem die Sicherheitsbehörden bereits 29 erwiesene Syrien-Kämpfer unter Asylbewerbern identifiziert haben. „Es gibt immer wieder Hinweise, dass unter den Flüchtlingen auch IS-Kämpfer sein könnten. Bislang hat sich aber kein solcher Anhaltspunkt konkret bestätigt“, sagte ein Sprecher des Ministeriums der Deutschen Presse-Agentur.