Analyse Der weite Weg zum Frieden: Syriens Waffenruhe auf der Kippe

Damaskus (dpa) - Wann immer im syrischen Bürgerkrieg ein leiser Hoffnungsschimmer auf Frieden am Horizont auftaucht, verschwindet er umgehend im Rauch neuer Angriffe und Gefechte.

Erst am Freitag war zum dritten Mal innerhalb von zwölf Monaten eine landesweite Waffenruhe in Kraft getreten, die den Weg ebnen sollte zu Verhandlungen zwischen der Regierung und ihren Gegnern. In der kasachischen Hauptstadt Astana sollen sich beide noch in diesem Monat treffen - so zumindest der Plan Russlands und der Türkei, der mittlerweile wichtigsten Schutzmächte der Kriegsparteien.

Doch ob sich demnächst tatsächlich syrische Unterhändler auf den Weg nach Zentralasien machen, ist einmal mehr ungewiss, seitdem mehrere wichtige Rebellenmilizen am Montagabend sämtliche Gespräche zur Vorbereitung des Treffens in Astana auf Eis gelegt haben. Sie beschuldigen Syriens Armee und mit ihr verbündete schiitische Milizen, die Waffenruhe immer wieder gebrochen zu haben.

Tatsächlich meldeten Aktivisten in den vergangenen Tagen Kämpfe in verschiedenen Gebieten, auch wenn die Gewalt insgesamt zurückgegangen ist. Nach Zählung der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte starben seit Freitag elf Zivilisten, darunter eine schwangere Frau. Alle seien durch Angriffe des Regimes getötet worden, sagt der Leiter der Menschenrechtsbeobachter, Rami Abdel Rahman.

Er macht die regierungstreuen Truppen auch für die Mehrheit der Verstöße gegen die Waffenruhe verantwortlich. Seine Informationen bezieht die in England sitzende Beobachtungsstelle von mehr als 200 Aktivsten im ganzen Land, die täglich Angriffe, Gefechte und Opferzahlen melden.

Zu Angriffen und Gefechten kam es vor allem in einem von Rebellen gehaltenen Tal nordwestlich der Hauptstadt Damaskus, das große strategische Bedeutung besitzt: Von Wadi Barada aus werden Millionen Menschen in Damaskus mit Frischwasser versorgt. Nachdem die Regierungstruppen eine Offensive begonnen hatten, wurde vor fast zwei Wochen die Wasserversorgung der Hauptstadt unterbrochen. Beide Seiten geben sich dafür gegenseitig die Schuld.

Für Damaskus sind die Auswirkungen dramatisch: Vier Millionen Einwohner sind dort laut UN seit dem 22. Dezember vom Wasser abgeschnitten. Vor allem Kindern drohten Krankheiten, warnt das UN-Nothilfebüro OCHA. Die regierungstreue Nachrichtenseite „Dimashq Now“ meldete, die Menschen müssten sich aus Brunnen versorgen. Für die Mächtigen in Damaskus ist Wadi Barada so wichtig, dass sie Verstärkungen dorthin beordert haben.

In dem wasserreichen Tal könnte sich das Schicksal der Feuerpause und auch der Friedensgespräche entscheiden. Im Zentrum des Konfliktes steht wie in früheren Fällen die Al-Kaida-nahe Miliz Fatah-al-Scham-Front, die ehemalige Al-Nusra-Front. Für sie gilt die Waffenruhe genauso wenig wie für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die mit ihr ideologisch sehr verwandt ist.

Für die Regierungsanhänger ist klar: Unter den Rebellen in Wadi Barada sind nicht nur Kämpfer der Fatah-al-Scham-Front, sondern diese geben dort auch den Ton an. Doch diesen Vorwurf weisen die Regimegegner zurück. In Wadi Barada gebe es keine Extremisten, sondern nur lokale Kämpfer, die ihre Heimatorte verteidigten. Die Menschenrechtsbeobachter wiederum schätzen, das rund 15 Prozent der Bewaffneten in der Region zur Fatah-al-Scham-Front gehören.

Für die vor allem von der Türkei, aber auch von den konservativen Golfmonarchien Saudi-Arabien und Katar unterstützten Rebellen ist der Stopp der Gespräche über Friedensverhandlungen ein gefährliches Spiel. Militärisch sind sie auf dem Rückzug, seitdem die Regierung kurz vor Weihnachten die vollständige Kontrolle über die lange umkämpfte Stadt Aleppo zurückgewinnen konnte. In neuen Kämpfen drohen den Regimegegnern weitere Geländeverluste, was ihre Position bei möglichen Verhandlungen weiter schwächen würde.

Das ist auch einer der Gründe, warum ein westlicher Diplomat die Hoffnung auf neue Friedensgespräche vorerst nicht aufgeben will: „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.“ Allerdings sieht er Russland und die Türkei am Zug, die vor allem der Opposition klar machen müssten, was in der kasachischen Hauptstadt passieren solle. Das hätten Moskau und Ankara noch nicht klar definiert, sagt er: „Es fehlt die Lokomotive, die den Zug auf den Gleisen hält.“