dpa-Interview: Hinter „Pegida“-Protest steht Verteilungskonflikt
Dresden (dpa) - Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt mahnt im Umgang mit den „Pegida“-Protesten eine sachliche und inhaltliche Debatte an.
„Da stößt man ziemlich schnell auf einen Verteilungskonflikt“, sagte der Professor am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Im Interview äußerte er sich auch über die Zukunft von „Pegida“.
Frage: Bei der jüngsten „Pegida“-Demonstration haben sich der Ton mancher Redner und die Reaktionen der Teilnehmer verschärft? Wie bewerten Sie das?
Antwort: Insbesondere die Rede des Vertreters aus Leipzig hat an mehreren Stellen den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Bei den Angriffen auf Gauck, auf die Kanzlerin und den sächsischen Ministerpräsidenten merkt man wirklich, wie gigantisch die Kluft zwischen vielen auf der Straße und unserem politischen System ist. Es ist eine Spaltung zwischen „Die da oben“, die regieren, und „Wir hier unten“, um die man sich nicht kümmert. Das ist bedrückend.
Frage: Welche Auswirkungen hat Berichterstattung über „Pegida“ auf „Pegida“?
Antwort: Die Medien haben „Pegida“ anfangs stark gemacht, weil sie von Beginn an zu wissen glaubten, was „Pegida“ ist - nämlich eine Horde von Neonazis, die man bekämpfen muss. Das hat viele Demonstranten in eine Trotzhaltung versetzt. Dabei war schon bald klar, dass hier nicht einfach Neonazis und islamophobe Rassisten auf die Straße gehen, sondern ganz normale Leute mit politischen Meinungen wohl von der Mitte bis zum rechten Rand. Und der Versuch, „Pegida“-Anhänger durch Interviews bloßzustellen, hat den Trotz erst recht geschürt. Hätten Journalisten am Anfang besser hingeschaut und den Politikern situationsangemessene Kommunikationsräume eröffnet, wäre manches womöglich anders gelaufen.
Frage: Wie sollten die Medien mit „Pegida“ umgehen?
Antwort: Man muss versuchen, hinter die Schlagworte und Formeln aus den Reden oder Einzelgesprächen zu gelangen, muss das Gesagte also wie einen bloßen Indikator für ein dahinter liegendes Muster behandeln, und muss dieses Muster zu begreifen versuchen. Stattdessen werden die Positionen von „Pegida“-Leuten oft eins zu eins ernst genommen - so, also ob Redner und Demonstranten in der Lage wären, über komplizierte Themen aus dem Stand gründlich Durchdachtes und vernünftig Abgewogenes zu sagen. Die Medien sollten also die geäußerten Sprechblasen nicht für bare Münze nehmen, sondern genau hinhören, von welchen hintergründigen Erfahrungen und untergründigen Problemen sie versuchsweise zeugen.
Frage: Was steht dahinter?
Antwort: Da stößt man schnell auf einen Verteilungskonflikt: Solange das Neuverschuldungsgebot gilt, müssen nämlich die Ausgaben für Flüchtlinge aus jenen Staatseinnahmen entnommen werden, die sich zwar alle zu teilen haben, die aber nicht von allen gleichermaßen aufgebracht werden. Was als Fremdenfeindlichkeit daherkommt, entpuppt sich so als sozialer Konflikt. Bei ihm steht obendrein die auf ihre Bildung und Humanität stolze Oberschicht gegen das einfache Volk, das sich anscheinend lümmelhaft aufführt und deshalb Zurechtweisung und Belehrung seitens der besseren Kreise verdient. Und besonders brisant ist das alles, weil sich hier der soziale Konflikt mit einem kulturellen Konflikt verbindet, seit es neue nennenswerte Zuwanderung aus dem islamischen Kulturkreis gibt.
ZUR PERSON: Werner J. Patzelt (60) ist Gründungsprofessor des Dresdner Instituts für Politikwissenschaft und hat den Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich an der Technischen Universität Dresden seit 1991 inne. Schwerpunkte seiner Lehre und Forschung sind unter anderem Parlamentarismusforschung und politische Kommunikation.