Druck gegen Druck? Ankläger brauchen Edathy-Geständnis
Hannover (dpa) - So eindringlich wie im Kinderporno-Prozess gegen Sebastian Edathy pocht ein Staatsanwalt selten auf ein Geständnis:
Nur wenn sich der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete „glaubhaft geständig“ zeige, sei eine Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage denkbar, sagte Oberstaatsanwalt Thomas Klinge am ersten Prozesstag.
Dabei könnte das Verfahren auch ohne Geständnis vorzeitig beendet werden. Doch die Vehemenz des Anklägers aus Hannover hat ihren guten Grund: Die Behörde steht seit Beginn der langwierigen Ermittlungen gegen Ex-Bundespräsident Christian Wulff permanent in der Kritik - und jetzt wird auch noch gegen den zuständigen Chefankläger, den Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig, wegen Geheimnisverrats ermittelt.
Warum der Ausgang des Edathy-Prozesses am Landgericht Verden für die Staatsanwaltschaft so wichtig ist, will auf Anklägerseite niemand offen sagen. In Vier-Augen-Gesprächen mit Juristen heißt es: Es sei die letzte Chance, das ramponierte Image ein wenig aufzupolieren. Die Justiz brauche endlich wieder ein Erfolgserlebnis. Denn die Ermittler in Hannover, die auch in dem Verfahren gegen Wulffs Ex-Sprecher Olaf Glaeseker keine glückliche Figur gemacht hatten, sind vom Jäger zum Gejagten geworden.
Für den Frankfurter Strafrechtler Eberhard Kempf ist die Forderung des Staatsanwalts ohnehin unzulässig. Eine solche Bedingung sei nicht ausdrücklich in der Strafprozessordnung vorgesehen und „beschädigt das Ansehen und die Arbeit der Staatsanwaltschaft“.
Schon seit Beginn der Ermittlungen gegen Lüttig ist von einem irreparablen Schaden für die Justiz die Rede. Ausgerechnet Lüttig soll interne Informationen aus den Verfahren gegen Wulff und Edathy an Journalisten weitergegeben haben. „Wenn er (der Vorwurf) zutrifft, schadet er der Staatsanwaltschaft insgesamt; er beschädigt den Ruf einer Institution, die von der Integrität lebt“, meint der Innenpolitikchef der „Süddeutschen Zeitung“, Heribert Prantl.
Bereits Wulff hatte nach dem Freispruch in seinem Korruptionsprozess schwere Vorwürfe erhoben. Justiz und Medien hätten sich die Bälle zugespielt und gegen das Prinzip der Gewaltenteilung verstoßen, beklagte er bei der Vorstellung seines Buchs „Ganz oben Ganz unten“. Er fürchte eine „ernste Gefahr für die Demokratie“.
Dabei sind es nicht nur die Durchstechereien an Journalisten, die die Justiz belasten. Am Donnerstag verurteilte das Landgericht Lüneburg einen ehemaligen Richter wegen Korruption zu fünf Jahren Haft, weil er Prüfungslösungen für das Zweite Staatsexamen angeboten hatte - gegen Sex und Bares. „Wenn man einem Richter nicht vertrauen kann, wem dann“, sagte Oberstaatsanwalt Marcus Röske in seinem Plädoyer.
Was macht nun Edathy, wenn der Prozess heute fortgesetzt wird? Bisher gibt er sich unbeugsam. Würde er sich geständig zeigen und zugeben, sich verbotene Filme und Bilder im Internet verschafft zu haben, wäre nach Einschätzung Prantls ein neuer Höhepunkt der „öffentlichen Verdammnis“ zu erwarten. Edathy käme zwar ohne Verurteilung davon, gesellschaftlich wäre er aber endgültig als Pädophiler gebrandmarkt.
Es sei grundsätzlich etwas aus dem Lot geraten, meint Edathys Anwalt Christian Noll. „Die Ermittler haben ihre Rolle verkannt.“ Es lasse sich „immer häufiger beobachten, dass Beschuldigte medial vorgeführt werden“. Noll fordert ein Ende des Prozesses ohne Wenn und Aber und erinnert an Uli Hoeneß, Klaus Zumwinkel und Alice Schwarzer. „Es drängt sich der Eindruck auf, dass Staatsanwaltschaften zunehmend dazu übergehen, Verfahren über die Öffentlichkeit zu betreiben statt dort, wo sie hingehören: vor Gericht.“
Auch Niedersachsens Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz hat die Gefahr für die Justiz erkannt. Als sie vor einer Woche im Landtag in Hannover mitteilte, dass gegen Lüttig ermittelt wird, sagte sie: „Ich bin mir der Bedeutung meiner Erklärung vor diesem Hohen Haus sehr bewusst.“ Sie will öffentlich zeigen, dass die Justiz in der Lage sei, ihre eigenen Fehler aufzuarbeiten.
Nun steht auch die Ministerin selbst enorm unter Druck. Sie habe ihr politisches Schicksal an die Ermittlungen gegen Lüttig geknüpft, heißt es in Reihen der Landtagsopposition. Sollte dem Chefankläger am Ende nichts nachzuweisen sein, sei die Grünen-Politikerin nicht mehr in ihrem Amt zu halten.