Ein Tag wie kein anderer: Brüssel im Zeichen der Terrorangst

Brüssel (dpa) - So kannte man Brüssel noch nicht. Dort, wo sonst Touristen fröhlich Fotos knipsen, zogen am Samstag gepanzerte Militärfahrzeuge auf dem historischen Marktplatz Grand Place auf.

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In der belebtesten Einkaufsstraße der Innenstadt, der Rue Neuve, patrouillierten Soldaten mit Maschinenpistolen. Nur wenige Passanten huschten im kalten Regen vorbei. Das angrenzende Einkaufszentrum City 2 war am Nachmittag menschenleer. Boutiquen und Geschäfte hatten die Türen zu, an manchen hingen hastig von Hand geschriebene Zettel: „Geschlossen“.

Schon seit dem frühen Morgen waren die Eingänge der Metro verwaist, an den 69 Metro-Stationen der Stadt die Rollgitter und Tore zugezogen. Weiß-rot geringelte Absperrbänder verwehrten den Zugang. „Brüssel hat sein Gesicht geändert“, meldete der belgische Rundfunk RTBF.

All das, was Menschen an einem Samstag gerne tun, ging plötzlich nicht mehr: Fußballspiele abgesagt, Konzerte - etwa des Rocksängers Johnny Hallyday - gestrichen, das große Kino Kinepolis geschlossen, die Ballettaufführung „Schneekönigin“ des traditionsreichen Cirque Royal auf Januar verlegt. Und sogar das Wahrzeichen der Stadt, das Atomium, schloss seine Türen.

Es war die Terrorwarnstufe vier, das höchste Niveau, das das Leben der Brüsseler von einem Moment auf den anderen veränderte. Die Sicherheitsbehörden hatten Hinweise darauf, dass mehrere Personen Anschläge in der Stadt geplant hatten, mit Waffen und Sprengstoff.

Als mögliche Ziele nannte Premier Charles Michel „Einkaufszentren, Einkaufsstraßen und den öffentlichen Nahverkehr“. Berichte, die Fahnder hätten bei Hausdurchsuchungen am Freitagabend neben Waffen auch Metro-Pläne der Stadt gefunden, kommentierte die Staatsanwaltschaft nicht.

Die meisten Menschen blieben trotz der Militärpräsenz in den Straßen gelassen. „Das Leben geht weiter“, sagte der Besitzer eines Zeitungskiosks, der die Maßnahmen für etwas übertrieben hielt: „Das ist doch alles nur Psychose.“. Alain Berlinblau von der Vereinigung der Brüsseler Einzelhändler sagte, solche Geschäftsschließungen habe es noch nie gegeben: „Wir wollten niemals dem Druck der Angst nachgeben, das wäre ja ein Sieg für die, die uns schaden wollen.“

Manch einer gab unter der allgemeinen Besorgnis nach. Pierre François, Direktor der belgischen ersten Fußballliga Pro League, sagte am Morgen noch: „Wir wollen Solidarität mit den Opfern von Paris zeigen, da sind die Spiele ein starkes Signal.“ Kurz darauf wurden dann doch alle Fußballspiele in Brüssel abgesagt.

Doch warum steht ausgerechnet Brüssel im Visier der Terroristen? Mehrere Spuren führen in die belgische Hauptstadt. Salah Abdeslam, der Bruder eines der Pariser Selbstmordattentäter, wird immer noch gesucht. Er könnte sich in Brüssel, wo er gewohnt hat, verstecken, lautet eine Hypothese. Eine andere geht davon aus, dass Angehörige von Abdelhamid Abaaoud, dem mutmaßlichen Drahtzieher der Pariser Anschläge mit früherem Wohnsitz in Brüssel, jetzt Racheakte planen. Abaaoud war am Mittwoch bei einem Einsatz von Spezialkräften in Paris ums Leben gekommen.

„Es kann eine oder mehrere Terrorzellen geben, die immer noch eine Gefahr darstellen“, sagte der Terrorexperte André Jacob im belgischen Radio RTBF. „Das sind Belgier, die sich vor Ort sehr gut auskennen.“

Belgien, bekannt für Bier, Pralinen und das Manneken Pis, gilt plötzlich als Brutstätte islamistischer Terroristen. Das hat seine Gründe. Das kleine Nachbarland von Frankreich scheint ein idealer Rückzugsraum für französisch-sprachige Terrorverdächtige zu sein. Das Land bleibt zerrissen im Sprachenstreit zwischen Flamen und Wallonen und hat ein Nebeneinander von Zuständigkeiten entlang der Polizeibezirke. Da fällt es leicht unterzutauchen.

Und der Brüsseler Stadtteil Molenbeek, wo einige der Pariser Attentäter herstammen, hat seine ganz eigenen Probleme. Jeder dritte dort ist außerhalb Europas geboren. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, viele Jugendliche aus Einwandererfamilien sind für Gewalt-Propaganda der Gotteskrieger empfänglich.

In Molenbeek patrouillierten am Samstag Gruppen von Soldaten, wie auch anderswo in der Stadt. Viele Einsatzkräfte waren vermummt - und das nicht nur wegen des Regens und der gerade mal 5 Grad. Belgiens Außenminister Didier Reynders schrieb auf dem Kurzmitteilungsdienst Twitter lapidar: „Und es regnet, ja es schneit sogar...“