„Eine moralische Instanz“: Dieter Hildebrandt ist tot
München (dpa) - Einst war er Platzanweiser im Münchner Kabarett „Kleine Freiheit“, schließlich wurde er selbst einer der bekanntesten und bedeutendsten Kabarettisten Deutschlands.
Eine wichtige Stimme im Kampf für Demokratie, Gerechtigkeit und gegen Politiker-Unsinn ist nun verstummt. Dieter Hildebrandt ist tot.
Noch in ihrer Mittwochsausgabe hatte die Münchner Zeitung „tz“ den schwer erkrankten Kabarettisten mit dem Satz zitiert: „Ich kämpfe bis zum Schluss.“ Doch alles ging schrecklich schnell. Als die Zeitungen morgens am Kiosk auslagen, war Hildebrandt bereits tot. Er starb in der Nacht zu Mittwoch im Alter von 86 Jahren im Kreise seiner Familie in einem Münchner Krankenhaus. „Bis zum Schluss hatte er Pläne, hatte gekämpft und wollte sich im Dezember auf der Bühne der Münchner Lach- und Schießgesellschaft von seinem Publikum verabschieden“, teilte die Gesellschaft mit, die Hildebrandt 1956 mit Sammy Drechsel gegründet hatte. Dieser Abschied aber war ihm nicht mehr vergönnt.
Hildebrandt steckte voller Tatendrang, hatte bis 2014 schon Auftritte zugesagt. Fast jeden Tag stand er auf der Bühne. Er sei es nicht gewöhnt, kürzerzutreten, hatte der im schlesischen Bunzlau geborene Künstler zu seinem 85. Geburtstag im Mai 2012 der Nachrichtenagentur dpa erklärt. „Ich mache immer etwas längere Schritte. Kürzere Schritte habe ich nicht so gerne. Das sieht immer so nach trippeln aus und ich trippele nicht gerne.“
Doch die Krankheit bremste ihn aus. Die Diagnose Prostatakrebs hatte er nach Informationen der Münchner Zeitung „tz“ erst im Sommer bekommen. Alle Auftritte sagte er daraufhin ab. Sein Freund, der Karikaturist Dieter Hanitzsch, zeichnete ein Bild: ein lachender Hildebrandt im Schlafanzug und mit Kerze in der Hand, der mit dem Finger auf eine Klinik weist und sagt: „Ich muss mal ... zur Reparatur“.
Mit einer Reparatur war es nicht getan. Wie ernst es aber um ihn stand, das wusste kaum jemand. Nachdem sich sein Zustand vor wenigen Wochen gebessert hatte, durfte er zunächst nach Hause, wie Hanitzsch sagte. Dann habe er aber einen schweren Rückschlag erlitten und musste wieder ins Krankenhaus - dieses Mal auf die Palliativstation.
Mit Hildebrandt verliert Deutschland eine politische Stimme, die jahrzehntelang immer deutlich zu hören war. „Ich kann doch auch nichts dafür“ hatte er sein letztes Programm genannt. Für ihn war das die Universal-Ausrede schlechthin. „Es kann natürlich jeder was dafür und trotzdem fällt immer wieder überall dieser Satz“ - in Deutschland spätestens seit dem Ende des Nazi-Regimes.
Bis zuletzt hatte Hildebrandt, das langjährige Gesicht der ARD-Sendung „Scheibenwischer“, nichts von seiner Scharfzüngigkeit eingebüßt. Missverhältnisse brachten ihn immer wieder zum Lachen - und das wollte er mit seinem Publikum teilen. Zum Missfallen von Politikern wie Franz Josef Strauß, der Hildebrandts scharfe Zunge „politische Giftmischerei“ nannte. Strauß's Nachfolger Horst Seehofer (CSU) dagegen verneigt sich heute „mit Achtung und Respekt“ vor Hildebrandt.
Der Bayerische Rundfunk blendete ihn in länger zurückliegender Vergangenheit wegen „nicht gemeinschaftsverträglicher“ Elemente schon mal aus dem Programm aus - heute würdigt BR-Intendant Ulrich Wilhelm Hildebrandt als „Großmeister des politischen Kabaretts“.
Diesem Kabarett galt Hildebrandts große Liebe - er verkörperte es wie kaum ein anderer. „Ich sitze etwas nervös manchmal herum und denke: Was wird mit dieser Republik? Manchmal denke ich, diese Demokratie ist etwas in die Jahre gekommen und wir müssen aufpassen, dass sie nicht überaltert“, sagte er einmal. Hin und wieder unternahm er auch Ausflüge ins Schauspielfach, etwa in Helmut Dietls gefeierter Serie „Kir Royal“, der Kino-Fortsetzung „Zettl“ aus dem Jahr 2012 oder in Gerhard Polts Urlauber-Satire „Man spricht deutsh“.
Zwischen seiner kabarettistischen Kunst und denen, die sich heute Comedians nennen, sah Hildebrandt übrigens keinen großen Unterschied. „Ein Kabarettist ist immer auch ein Comedian - und umgekehrt“, sagte er. „Es ist ja ein Missverständnis, dass nur derjenige, der über Politik redet, auch Politik meint. Unser Leben ist voller Politik. Es ist nur so, dass es inzwischen bei den Comedians den Hang dazu gibt, nur noch über die Unterschiede zwischen Mann und Frau zu sprechen. Das langweilt mich natürlich.“
„Es ist ein großer Verlust“, sagte sein Freund Hanitzsch. „Für uns alle.“ Gemeinsam hatten er und Hildebrandt erst im vergangenen März das Online-Kabarett-Projekt „Störsender.tv“ auf die Beine gestellt. Am Mittwoch stand auf der Startseite des Projekts: „Danke, lieber Dieter, für alles.“ Und die Lach-und Schießgesellschaft teilte mit: „Er hätte uns noch so viel zu sagen gehabt. Wir trauern mit seiner Familie um einen wunderbaren Menschen, lieben Freund, Förderer und eine moralische Instanz.“
„Moralische Instanz“, „unbestechlicher Wächter unserer Gesellschaft“, „waches Gewissen der Nation“ - es sind Begriffe wie diese, die fallen am Tag nach seinem Tod. Hildebrandts Stimme hatte ein solches Gewicht, weil er selbst - und das ist selten - seinen moralischen Ansprüchen gerecht wurde. Das sagen die, die ihn kannten. „Ich habe keinen Menschen gekannt, der moralisch integrer war als er“, sagt Konstantin Wecker. „Man weiß jetzt gar nicht mehr, wo man hingehen soll, wenn man eine knifflige moralische Frage hat.“