Einsam, unpolitisch oder Rassist: Wer ist der Cox-Mörder?

London (dpa) - Manchmal ist Politik unberechenbar. Unerwartete Ereignisse wie Terroranschläge und Börsenstürze können Stimmungslagen in einem Land über Nacht verändern - und Wahlen beeinflussen. Besonders nahe geht Wählern oft Gewalt gegen Unschuldige.

Foto: dpa

Ist die Ermordung der britischen Labour-Abgeordneten Jo Cox ein solches Ereignis, das eine knappe Woche vor dem historischen Brexit-Referendum in Großbritannien die Ausgangslage verändert?

Noch liegen die Hintergründe der grausigen Tat im Dunklen, die Polizei schweigt, die Medien sind ratlos. Was hat den 52-Jährigen, der seit Donnerstag in Haft sitzt, zur Tat bewogen? Nachbarn beschreiben ihn als Einzelgänger, als einsamen Mann, der bei seiner Großmutter aufwuchs, seit 40 Jahren in einem kleinen Häuschen in Birstall in Yorkshire wohnt - nur 15 Minuten Fußweg von der Stelle entfernt, an der die junge Abgeordnete brutal überfallen wurde.

Er sei völlig harmlos gewesen und habe seit vielen Jahren keine Freundin gehabt, berichtet ein Halbbruder des mutmaßlichen Täters. „Er hatte eine Freundin, als er jünger war, doch die hat sein Freund ihm ausgespannt“, zitiert ihn der „Guardian“. Zeitweise habe er sich mit kleineren Jobs wie Gartenarbeiten über Wasser gehalten, zeitweise bei Freiwilligen-Diensten engagiert, schreibt das Blatt weiter.

Auch von psychischen Problemen ist die Rede. Der Mann habe eine „Geschichte psychischer Krankheiten, allerdings hatte er Hilfe gehabt“, meint ein Bruder. „Mein Bruder ist nicht gewalttätig und ist überhaupt nicht politisch.“

Aber ob der Täter tatsächlich so unpolitisch war - auch daran gibt es erste Zweifel. Die „Washington Post“ berichtet, der Mörder von Jo Cox habe Verbindungen zu einer Neonazi-Organisation in den USA gehabt. Er habe sich bei der Gruppe Nationale Allianz gar ein Handbuch bestellt, in dem auch eine Gebrauchsanweisung zum Bau einer Pistole enthalten gewesen sei. Allerdings: Das soll schon 17 Jahre her sein.

Auch der britische „Telegraph“ berichtete von politischen Verbindungen, so habe der 52-Jährige früher die Zeitschrift „SA Patriot“ abonniert gehabt, ein rassistisches Blatt, das von einer südafrikanischen Pro-Apartheid-Organisation herausgegeben worden sei. Aber auch das soll bereits einige Jahre her sein. Die Frage ist: Sagt das tatsächlich etwas über die Tat an diesem Donnerstag und die Tatmotive aus?

Premierminister David Cameron und Labour-Oppositionschef Jeremy Corbyn, eilten am Freitag an den Ort des Verbrechens, legten Blumen nieder - eine symbolische Geste, um die Tote zu ehren. Der konservative Cameron und sein linker Gegenpart Corbyn sind politisch normalerweise wie Feuer und Wasser, doch beim Thema Referendum ziehen sie an einem Strang, kämpfen gegen den Albtraum Brexit, für den Verbleib in der EU.

Es ist ein Kampf auf Messers Schneide. Immer mehr Umfragen machten in den vergangenen Tagen und Wochen einen Trend in Richtung Austritt aus - doch das war vor dem Verbrechen von Yorkshire. Cox war eine erklärte Brexit-Gegnerin.

Noch gibt es keine neuen Erhebungen zur Stimmungslage nach ihrer Ermordung. Noch gibt es keine Beweise dafür, dass der Täter vom Streit um die Schicksalfrage „Drinbleiben oder Rausgehen“ getrieben wurde. Es ist wieder einer dieser Momente, in denen eine plötzliche Tragödie unberechenbare politische Folgen haben kann.