Frage & Antworten: Strompreise verstärken Reformdruck
Berlin (dpa) - Jedes Jahr am 15. Oktober, Punkt 10 Uhr, wird eine schnöde Pressemitteilung verschickt. Die vier Betreiber der großen Stromtrassen teilen als Verantwortliche für das Ökostrom-Konto die neue, über den Strompreis zu zahlende Erneuerbare-Energien-Umlage mit.
Für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist die neue Zahl unangenehm: Die Umlage steigt 2014 von 5,277 auf 6,24 Cent je Kilowattstunde (kWh), ursprünglich war sogar etwas mehr erwartet worden.
Was ist die Ökostrom- oder EEG-Umlage?
Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bekommen Betreiber von Windparks, Solar- und Biogasanlagen auf 20 Jahre garantiert feste Vergütungen, um den Ausbau zu forcieren. Die Fördersätze sind je nach Anschlussdatum unterschiedlich hoch. Wer seine Anlage 2010 anschloss, bekommt 39,14 Cent die Kilowattstunde. Derzeit sind es wegen des Preisverfalls bei den Modulen nur noch 14,27 Cent. Von dieser Summe wird der an der Strombörse im Verkauf erzielte Preis - in diesen Tagen sind das zwischen drei und fünf Cent je kWh - abgezogen. Die verbleibende Summe wird per EEG-Umlage auf die Verbraucher abgewälzt.
Womit müssen Haushalte nun beim Strompreis rechnen?
Der große südwestdeutsche Versorger EnBW verspricht zwar, Preise „bis weit ins Jahr 2014 stabil“ zu halten, weil dank des Ökostroms die Preise im Einkauf gesunken sind. Auch Eon garantiert seinen Privatkunden stabile Strompreise bis 2014 - das schließt Steigerungen im Jahresverlauf natürlich nicht aus. Hunderte Versorger werden wohl an der Preisschraube drehen, weil auch die Stromdurchleitungskosten (Netzentgelte) vielerorts zulegen. Bei 3500 kWh Jahresverbrauch muss laut Verivox mit über 60 Euro mehr gerechnet werden. Solche Haushalte müssten dann fast 1050 Euro im Jahr für ihren Strom zahlen, Großfamilien über 1700 Euro - ein Grund dafür wäre auch, dass die Mehrwertsteuerbelastung bei höheren Preisen automatisch mit steigt.
Warum ist die Umlage seit 2010 von 2,05 auf nun 6,3 Cent gestiegen?
Etwa die Hälfte der derzeit 20,3 Milliarden Euro an Umlagekosten pro Jahr macht die Solarförderung aus. Allein 2010 bis 2012 wurden rund 22 500 Megawatt Solarleistung installiert. Die Billigkonkurrenz aus China ließ die Modulpreise massiv purzeln - aber Bund und Länder steuerten nicht rechtzeitig mit stärkeren Förderkürzungen entgegen. Seit dem Start des EEG im Jahr 2000 bis heute sind insgesamt rund 101 Milliarden Euro an Ökoenergie-Vergütungen geflossen. Umweltschützer wie Greenpeace argumentieren, dass Atom und Kohle auch mit dutzenden Milliarden gefördert worden seien - und es durch den Atommüll sowie Umwelt- und Klimaschäden bei der Kohlekraft enorme Folgekosten gebe.
Was sind die Hauptgründe für den neuen Rekordwert?
Rund 0,36 Cent des Umlageanstiegs um einen Cent geht nach einer Berechnung der Denkfabrik „Agora Energiewende“ und des Öko-Instituts auf den Einbruch der Börsenstrompreise zurück. Per Umlage wird die Differenz zwischen dem an der Börse erzielten Preis und der festen Vergütung für Anlagenbesitzer gezahlt. Ursprünglich war mit 51,15 Euro je Megawattstunde kalkuliert worden, oft lag er aber unter 40 Euro. Versorger geben die Vorteile oft unzureichend weiter - Strom wird im Einkauf immer billiger, für Endkunden wegen höherer Differenzkosten aber teurer. Zudem gingen 0,14 Cent des Anstiegs der Berechnung zufolge auf das Konto von Industrierabatten. Und 0,44 Cent auf den Ökoenergie-Ausbau, davon die Hälfte auf Windkraft im Meer.
Warum verdient der Staat sogar an der Entwicklung?
Es gehört zu den Besonderheiten des komplexen Fördersystems, dass der Staat durch die EEG-Umlage und entsprechend steigende Strompreise Mehrwertsteuermehreinnahmen hat, wobei dadurch die Bürger in der Regel an anderer Stelle sparen. Für 2013 wird ein Stromverbrauch in privaten Haushalten von insgesamt 139 Terawattstunden erwartet. Da der Staat in diesem Jahr durch die Umlage ziemlich genau einen Cent je Kilowattstunde zusätzlich an Mehrwertsteuer einnimmt, summiert sich die Summe auf knapp 1,4 Milliarden Euro - das entspricht fast einem Prozent des Gesamtaufkommens von 142,4 Milliarden Euro (2012).
Geht das jetzt immer weiter so?
Eher nicht - denn die Börsenstrompreise dürften nicht viel weiter sinken. Schwierig wird es, wenn immer mehr Bürger und Firmen selbst Strom erzeugen und sich so aus dem Solidarsystem der Umlagezahler verabschieden. Dann steigen die Umlagekosten für den Rest an. Der Ex-Umwelt-Staatssekretär Rainer Baake (Grüne) hat zur Stabilisierung der Umlage ein „EEG 2.0“ entwickelt mit einer Vergütungs-Obergrenze von nur noch 8,9 Cent je Kilowattstunde. Das würde neue Biogasanlagen unrentabel machen und den Bau von See-Windparks begrenzen. Der Ausbau dürfte sich auf Windkraft an Land und Solarparks konzentrieren. Zudem sollen energieintensive Unternehmen laut dem Papier mehr zahlen. Aber: Erst wenn Anlagen mit hohen Vergütungen nach 20 Jahren nach und nach aus der Förderung fallen, kann die Umlage spürbar sinken.
Lässt sich die Stromrechnung irgendwie mindern?
Verbraucherschützer schlagen eine „Bad Bank“ für Ökostrom-Gelder vor. Etwa eine Finanzierung der Solarvergütungen über einen Fonds, der über Steuergelder zwischenfinanziert würde. Von den jahrelang von üppigen Vergütungen profitierenden Solar- und Windenergiebesitzern könnte eine Abgabe zur schrittweisen Tilgung des Fonds erhoben werden. So würde die Umlage zwar halbiert, aber letztlich könnten höhere Schulden an anderer Stelle das Ergebnis sein. Die SPD will eine Senkung der Stromsteuer, die ebenfalls Teil des Strompreises ist, um den Bürgern etwas von den höheren Mehrwertsteuereinnahmen zurückzugeben. Sozialverbände pochen auf Sondertarife, damit nicht die Zahl der Stromsperren steigt. Als einfachste Sofortmaßnahme bleibt aber vorerst nur ein Anbietervergleich. Oder Stromsparen.