Fragen & Antworten: Bereit zu reden, aber wie?
Berlin (dpa) - Die Lage ist vertrackt. Nach der vermuteten Abhöraktion des US-Geheimdienstes NSA gegen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Deutschland gesteigertes Interesse an Informationen des Mannes, der die Umtriebe der Amerikaner überhaupt erst ans Licht brachte: Ex-US-Geheimdienstler Edward Snowden.
Der 30-Jährige hat nun bei einem Treffen mit dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele in Russland signalisiert, dass er zu einer Aussage bereit wäre. Aber wo? Und mit wem? Unter welchen Bedingungen? Und mit welchen Folgen? Die Rechtslage ist hoch kompliziert.
Wie ist Snowdens rechtliche Situation im Moment?
Er gilt seit dem Entzug seines amerikanischen Passes als staatenlos. Die US-Regierung wirft ihm Geheimnisverrat vor und sucht ihn per Haftbefehl. Seit Ende Juni hält er sich in Russland auf. Die Regierung in Moskau hat ihm für ein Jahr politisches Asyl gewährt und lehnt die von den USA geforderte Auslieferung ab. Im Gegenzug hat Snowden zugesagt, keine weiteren geheimen Informationen zu enthüllen.
Welche Möglichkeiten gäbe es für deutsche Stellen, mit Snowden zu reden?
Im Gespräch ist, die ganze Geheimdienst-Spähaffäre in einem Untersuchungsausschuss des Bundestages aufzuklären. Die Zustimmung dafür in den Parteien wächst. Wenn ein solches Gremium zustande käme, könnte es theoretisch auch Snowden als Zeugen laden. Der politische Wille müsste aber da sein, denn der Schritt wäre mit einigen Problemen verbunden.
Welche sind das?
Snowden würde laut seinem russischen Anwalt Anatoli Kutscherena den Flüchtlingsstatus verlieren, falls er Russland verließe. Er verlangt Sicherheitsgarantien, wenn er nach Deutschland käme - und eine Perspektive, dass er bleiben kann. Deutschland könnte Snowden „freies Geleit“ zusichern, damit er vor einem Untersuchungsausschuss erscheinen könnte - also zusagen, dass er nicht von deutschen Behörden festgesetzt würde. Snowden bräuchte für die Aussage vor einem Ausschuss aber einen Aufenthaltstitel in Deutschland. Dieser kann laut Gutachten nicht nur aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen ausgestellt werden, sondern auch zur Wahrung „politischer Interessen der Bundesrepublik“. Darüber hätte das Innenministerium zu entscheiden. Der Forderung eines Untersuchungsausschusses könnte sich das Ressort nach Expertenmeinung nur entgegenstellen, wenn schwerwiegende außenpolitische Belange dagegen sprächen. Das ist in diesem Fall nicht unerheblich: Schließlich wäre ein solcher Schritt ein echtes Problem für die deutsch-amerikanischen Beziehungen.
Droht Snowden eine Auslieferung in die USA, wenn er nach Deutschland kommt?
Die US-Regierung hat laut Bundesjustizministerium schon vorsorglich ein „Festnahmeersuchen“ an Deutschland geschickt - für den Fall, dass Snowden hier auftauchen sollte. Die Ministerium hat dies aber noch nicht beantwortet und plant das vorerst auch nicht. Deutschland hat mit den USA eine Auslieferungsvereinbarung. Es gibt aber die Möglichkeit, ein Auslieferungsersuchen auszuschlagen, etwa wenn dem Betroffenen in der Heimat die Todesstrafe droht oder er wegen einer - aus deutscher Sicht - politischen Straftat verfolgt wird. Ob für Snowden eine Ausnahmeregelung infrage käme, ist unklar.
Welche anderen Optionen gäbe es für ein Gespräch mit Snowden?
Die Deutschen könnten Snowden auch in Russland befragen. Ein Untersuchungsausschuss könnte Vertreter zur Vernehmung schicken. Auch ein Bundesanwalt könnte den Ex-Geheimdienstler dort befragen - oder schriftlich. Dem müssten die russischen Behörden aber zustimmen. Die Bundesregierung hält diese Variante für denkbar. Der Kreml hält sich offiziell heraus. Aus Russland ist aber zu hören, dass eine Vernehmung dort durchaus möglich sei. Nur: Snowden will das nicht. Er hat laut Ströbele „erhebliche Vorbehalte“ dagegen, auf russischem Boden mit deutschen Vertretern zu reden. Welche Bedenken genau, das bleibt offen. Aber ein naheliegender Einwand wäre, dass die Russen wohl die Bedingungen und Umstände eines solchen Treffens diktieren würden. Fraglich wäre, ob Snowden dort wirklich frei reden könnte.
Gibt es einen anderen Ausweg für Snowden?
Ströbele hat noch eine andere rechtliche Wendung ins Gespräch gebracht. Es gebe die Möglichkeit, jemanden für eine Straftat nicht zu belangen, wenn dieser Mensch durch die Tat schlimmes Unheil für viele andere abgewendet habe (Prinzip des „übergesetzlichen Notstands“). In Deutschland ist dies anwendbar. In den USA ebenso, sagt Ströbele und appelliert an die Verantwortlichen, über eine solche Regelung nachzudenken - „wann, wenn nicht in diesem Fall“.