Fragen und Antworten: Kiew räumt Kontrollverlust ein

Kiew/Moskau (dpa) - Über den Osten der krisengeschüttelten Ukraine hat die prowestliche Regierung in Kiew schon keine Kontrolle mehr. Interimspräsident Turtschinow befürchtet einen Flächenbrand in der Ex-Sowjetrepublik.

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Der Präsidentenwahl am 25. Mai droht ein Chaos. Zur Lage in der Ex-Sowjetrepublik einige Frage und Antworten.

Wie ist die Situation in der Ostukraine?

Die prorussischen Separatisten weiten ihren Einfluss aus. Auch in der Großstadt Lugansk besetzen sie jetzt mehrere öffentliche Gebäude - unter anderem die Gebietsverwaltung. Die von den USA und der EU unterstützte ukrainische Regierung wirkt nach dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch macht- und hilflos. „Heute kontrolliert die Regierung die Lage in Teilen des Gebietes Donezk nicht mehr“, räumt am Mittwoch Interimspräsident Alexander Turtschinow ein. Polizei und Geheimdienst würden ihre Pflichten nicht erfüllen und teils mit den Aufständischen zusammenarbeiten, schimpft er.

Läuft der groß angekündigte „Anti-Terror-Einsatz“ ins Leere?

Wegen schlechter Bezahlung, der trüben wirtschaftlichen Ausblicke und einer insgesamt instabilen Lage ist die Moral bei Militär und anderen Sicherheitsstrukturen auf dem Tiefpunkt. Zwar behauptet Interimspräsident Alexander Turtschinow, dass die Streitkräfte „in voller Kampfbereitschaft“ seien. Doch immer wieder gibt es Berichte von Überläufern ins Lager der Aufständischen. Außerdem droht Russland mit einem Militäreinsatz, sollte die Ukraine erneut Panzer und Geschütze gegen die Aufständischen auffahren.

Was bietet die Regierung ihren Gegnern im Osten und Süden der Ukraine an?

Bisher ist nur sehr vage eine Verfassungsreform angekündigt. Sie soll den Regionen mehr Autonomie bringen und die russische Sprache schützen. Im Gespräch ist, über eine neue Verfassung am 15. Juni abstimmen zu lassen. Die prorussischen Aktivisten sehen sich als Separatisten und Terroristen verunglimpft. Sie haben für den 11. Mai ein Referendum angesetzt - für eine Loslösung der Gebiete Donezk und Lugansk von Kiew. Ein Dialog zwischen Repräsentanten aus Kiew und den prorussischen Wortführern ist nicht in Sicht.

Wie kann in einer solchen Lage die Präsidentenwahl am 25. Mai über die Bühne gehen?

In den Gebieten Lugansk und Donezk gilt die Abstimmung als gefährdet. Die prorussischen Kräfte rufen zum Boykott auf. Kandidat Oleg Zarjow, der seine Wählerbasis am ehesten dort hat, zog seine Kandidatur demonstrativ zurück und appelliert an andere Bewerber, ihm zu folgen. Die Zentralregierung kann bislang weder die Sicherheit der Kandidaten noch den reibungslosen Ablauf in den Wahllokalen garantieren. Bei einem Ausfall der bevölkerungsreichen Gebiete wäre die Legitimität des neuen Präsidenten gefährdet.

Warum können die Separatisten so frei agieren?

Die Sicherheitskräfte überlassen ihnen im Grunde widerstandslos das Feld. Viele Milizionäre hatten die monatelange Protestbewegung proeuropäischer Demonstranten in Kiew, die Präsident Viktor Janukowitsch letztlich stürzte, von Anfang an abgelehnt. Die prorussischen Kräfte besetzen deshalb ohne Gegenwehr Gebäude und plündern Waffenkammern. Allerdings beklagen Sicherheitskräfte auch unklare oder fehlende Befehle aus Kiew. Auch Löhne von im Schnitt umgerechnet 200 Euro sind für viele Milizionäre kein Anreiz zum Kämpfen gegen die bisweilen schwer bewaffneten Aufständischen.

Was hat der Westen bisher an Hilfe geleistet für das vor dem Staatsbankrott stehenden Land?

Die Europäische Union hat die Einfuhrzölle für die Ukraine abgeschafft. Aus Polen, der Slowakei und Ungarn kann das Land zudem Gas 30 Prozent billiger beziehen und die kostspieligen russischen Importe so teils ersetzen. Die US-Regierung vergab der Ukraine Kreditgarantien von einer Milliarde US-Dollar. Was fehlt, ist aber eine echte Finanzspritze. Der Internationale Währungsfonds könnte dem klammen Land knapp 17 Milliarden US-Dollar an neuen Krediten geben. Die Entscheidung steht allerdings noch aus.

Wo lauern neue Gefahren?

Die prowestliche ukrainische Regierung sieht die Gefahr eines Flächenbrandes und will verhindern, dass zum Beispiel in Odessa am Schwarzen Meer oder in Charkow Gebäude besetzt werden. Dafür werden in den einzelnen Gebieten Verteidigungskomitees gebildet. Das Chaos dürfte sich aber verschlimmern, wie Beobachter meinen. Die vor dem Bankrott stehende Ukraine ist unter anderem wegen nicht bezahlter milliardenschwerer Gasrechnungen bei Russland verschuldet. Kremlchef Wladimir Putin hat eine Zahlungsfrist bis Anfang Mai gesetzt.

Was passiert dann?

Angedroht hat Russland, Gas nur noch gegen Vorkasse zu liefern. Wenn kein Geld fließt, wird kein Gas strömen. Und weil die Ukraine das wichtigste Transitland für Gaslieferungen in den Westen ist, kann es zu Lieferengpässen in der EU kommen. Schon beim „Gaskrieg“ 2009 zwischen Kiew und Moskau hatte Russland den Hahn zugedreht, weshalb es auch in der EU zu Engpässen kam.

Welche Lösung ist denkbar?

Die Ukraine hofft, dass der Westen Milliarden vorstreckt, damit die Schulden bei Russland beglichen werden und das Schlimmste abgewendet wird. Aber Kiew weigert sich, den vertraglich mit Moskau vereinbarten Preis von 485 US-Dollar je 1000 Kubikmeter Gas zu zahlen, weil der deutlich über Marktniveau liegt. Die ukrainische Regierung will nur 268,5 US-Dollar ausgeben.

Wie kompromissbereit sind die Russen in der aktuellen Konfliktlage?

Sie wollen eine Lösung, damit ihre eigene Wirtschaft nicht weiter leidet. Kremlchef Wladimir Putin hat bereits eingeräumt, dass die vom Westen gegen Russland im Ukraine-Konflikt verhängten Sanktionen sich schädlich auf die Wirtschaft auswirken. Die Führung in Moskau kämpft mit Konjunkturproblemen, Kapitalflucht, aufziehender Rezession, Wertverfall des Rubel und mit einem schlechteren Investitionsklima.