Fragen und Antworten: Terror trifft Europa - was läuft schief?

Brüssel/Paris (dpa) - Am Abend vor den Anschlägen von Brüssel moderierte die französische Journalistin Ruth Elkrief eine Livesendung im Problemstadtteil Molenbeek, der nunmehr europaweit berüchtigten Islamistenhochburg.

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Anschließend wunderte sie sich über fehlende Kontrollen am Südbahnhof, wo sie den Zug nach Paris nahm. „Warum waren die Sicherheitsmaßnahmen nicht auf höchster Alarmstufe in der belgischen Hauptstadt?“, fragte sie nach den Explosionen am Dienstag verständnislos. Belgien sei „das schwache Glied“ Europas, „ein schwacher Staat“, polterte sie in ihrem Sender BFMTV.

Sie bringt eine Kritik auf den Punkt, die nicht nur in Frankreich seit den in Brüssel vorbereiteten Pariser Anschlägen vom 13. November immer wieder zu hören ist: Belgien habe im Kampf gegen den Terror versagt - und die EU-Staaten gleich mit, weil sie bei der Geheimdienst-Zusammenarbeit weiter ihre nationalen Süppchen kochten.

Warum ist ausgerechnet Brüssel zum Islamisten-Hort geworden?

Schon vor den Anschlägen galt Belgien als eins der gefährdetsten Länder Europas. Grund ist die im Verhältnis zur Bevölkerung große Zahl von Dschihadisten, die ins Bürgerkriegsland Syrien gezogen sind. Nach Schätzungen stammen rund 500 Kämpfer aus Belgien. In Molenbeek ebenso wie den gemischteren Gemeinden Forest und Schaerbeek finden Islamisten Sympathie und Unterschlupf, berichtet der Anthropologe Johan Leman, Leiter eines sozialen Zentrums in Molenbeek, dem französischen „Figaro“. Polizei und Justiz müssten mehr Präsenz zeigen, findet er. „Die Bewohner sind bereit zu kooperieren - falls man sie respektiert.“

Gibt es Versäumnisse der belgischen Behörden?

Die Voraussetzungen sind jedenfalls nicht gut. Das politische System ist zersplittert, viele Zuständigkeiten liegen auf der regionalen und lokalen Ebene - auch bei der Polizei. Der Experte Rolf Tophoven beklagt, es gebe eine „Terrorschiene“ zwischen den Hauptstädten von Frankreich und Belgien. Brüssel sei ein Unterschlupf zur Vorbereitung der Pariser Attacken gewesen, und die belgischen Sicherheitsbehörden hätten diesen „Hotspot“ der Islamisten-Szene lange vernachlässigt.

Der Politikwissenschaftler Peter Neumann vom King's College in London meint, die belgischen Behörden seien überfordert mit der großen Zahl an gefährlichen Islamisten und Dschihad-Rückkehrern. „Die Behörden sind auf so eine Vielzahl von potenziellen Terroristen, die es zu überprüfen gilt, nicht ausgerichtet“, sagte er der „Bild“-Zeitung.

„Die belgische Naivität hat uns Franzosen 130 Tote gekostet“, meinte der konservative Abgeordnete und frühere Anti-Terror-Ermittler Alain Marsaud jüngst erbittert. EU-Antiterror-Koordinator Gilles de Kerchove räumt im Sender RTBF ein: „Wir haben vielleicht nicht die gleiche Sicherheitskultur wie unsere französischen Nachbarn.“ Dort gebe es immerhin einen mächtigen Staat, der schon lange in Armee, Geheimdienste und Polizei investiere. Doch der Wind drehe sich, auch Belgien stelle neues Personal ein.

Wo klemmt es in Europa?

Die EU-Staaten haben erkannt, dass die terroristische Bedrohung sie zu stärkerer Zusammenarbeit zwingt - das zeigt sich etwa im neuen Anti-Terror-Zentrum bei der europäischen Polizeibehörde Europol. „Wenn jetzt nicht die Zeit für mehr Zusammenarbeit ist, dann weiß ich wirklich nicht, wann“, sagt EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos. Er forderte mehr Austausch von Geheimdienst-Informationen, ein entschiedeneres Vorgehen gegen Schwarzmarkt-Waffen oder gefälschte Dokumente und einen besseren Schutz der europäischen Außengrenzen.

Vor allem Frankreich drückt seit Monaten aufs Tempo und reagiert zunehmend verschnupft, weil das Gesetz zu Fluggastdaten im EU-Parlament noch nicht verabschiedet wurde. Das deutsche Innenministerium beklagt neben rechtlichen und tatsächlichen Hindernisse bei der Sicherheitszusammenarbeit auch „unterschiedliche Mitwirkungsbereitschaft“ der Staaten. Ressortchef Thomas de Maizière (CDU) fordert dringend einen besseren Datenaustausch.

Läuft es denn bei den Franzosen selbst rund?

Auch Paris hat es nicht geschafft, verheerende Anschläge zu verhindern. Mehr als 2000 Menschen sollen zu dschihadistischen Netzwerken gehören, 600 in Syrien oder dem Irak sein. Für Fragen sorgt, dass Terroristen den Behörden als Radikale bekannt waren, diese sie aber nicht an Bluttaten hindern konnten. Allerdings sind in der Datenbank Tausende Menschen registriert - unmöglich, sie alle zu überwachen. Auch im Hinblick auf den Informationsaustausch der Geheimdienste sind die Franzosen nach Angaben aus EU-Kreisen nicht immer vorbildlich: Dort gebe es Frust, weil Paris zwar alle Informationen haben wolle, aber selbst kaum liefere.