GDL-Chef Weselsky: Der unglaubliche Claus
Frankfurt/Berlin (dpa) - Claus Weselsky ist keiner, der gern Belehrungen über sich ergehen lässt. Doch an diesem Freitag muss der selbstbewusste Chef der Lokführergewerkschaft GDL zuhören - das gebieten die Gepflogenheiten vor Gericht.
Der Streik bringe keine Lösung, bläut Richter Michael Horcher dem Mann ein, den selbst die Kanzlerin nicht vom Rekordstreik bei der Bahn abbringen konnte. „Das geht über Verhandeln, Verhandeln, Verhandeln“, mahnt Horcher - und dann erklärt das Gericht den Arbeitskampf für rechtmäßig.
In den engen Sälen der Frankfurter Arbeitsgerichte hat sich seit Donnerstag über insgesamt zwölf Stunden ein zähes Ringen zwischen den Juristen beider Seiten abgespielt. Beide Instanzen weigern sich, die Streithähne ohne den Versuch zu entlassen, eine gütliche Einigung zu finden.
Weselsky lehnt alles ab und gewinnt - um dann aus der Position des Siegers plötzlich seine unglaubliche „Versöhnungsgeste“ zu machen: den als längsten Streik in der Bahn-Geschichte geplanten Ausstand um 34 Stunden zu stutzen.
Ob Klaus Dauderstädt etwas geahnt hat? Der Chef des Beamtenbunds hat den Gang in die zweite Instanz nicht als Eskalation des Konflikts gesehen, sondern als Chance. Als Chance, die strittigen Fragen zu lösen. „Das wäre vielleicht sogar ein Signal, den Arbeitskampf zu beenden“, hatte er am Morgen im Deutschlandfunk gesagt. Für Bahn-Personalchef Ulrich Weber steht fest: Der Streik wurde „mit Hilfe des Gerichts“ verkürzt.
Doch damit ist der Tarifkonflikt noch lange nicht beendet. Immer wieder kehren GDL und Bahn im Gerichtssaal zum Grundstreitpunkt zurück. Die Lokführergewerkschaft will künftig auch für Zugbegleiter verhandeln, was bislang die rivalisierende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) macht. Die Bahn aber will konkurrierende Tarifverträge um jeden Preis vermeiden, wie Weber erklärt: „Weil es gut ist, gleiche Tätigkeit gleich zu bezahlen.“
Nach dem zweimaligen Sieg vor Gericht platzt Weselsky fast vor Stolz: „Ich stehe an dieser Stelle nicht als Sieger, sondern als derjenige, der die Grundrechte der Lokomotivführer und der Zugbegleiter verteidigt hat.“ In den vergangenen Wochen, fügt er noch hinzu, habe das Ansehen dieser beiden Berufsgruppen stark gelitten.
Man kann davon ausgehen, dass es auch für Weselsky erleichternd ist, jetzt Fünfe gerade sein zu lassen, anstatt bis zum Montag durchzustreiken. Er war schwer unter Druck geraten. Seine Kritiker machten auch vor seiner Privatsphäre nicht Halt: Weselsky konnte sein Haus und seine Büro-Telefonnummer in der Zeitung sehen.
„Ich möchte nicht verhehlen, dass das, was versucht wird, an meiner Person zu exerzieren, seine Spuren hinterlässt“ - so gewährte der 55-Jährige zum Streikauftakt ausnahmsweise einen Blick hinter die Fassade des harten Gewerkschaftsbosses. „Schmerzensgeldfähig“ sei dieser Job momentan.
„Hexenjagd gegen unseren Vorsitzenden“, heißt es am Freitag auf einem Protestplakat in Berlin, wo 500 GDL-Mitglieder vor die gläserne Bahn-Zentrale ziehen. Seine Lokführer stehen in ihrer Mehrheit zu Weselsky, sonst wäre der Streik längst zusammengebrochen. Schließlich begnügen sich die Kollegen mit 50 Euro Streikgeld pro Tag.
Berichte über einen bröckelnden Rückhalt zitieren meist Stimmen aus dem Umfeld der Bahn, der EVG oder den früheren GDL-Chef Manfred Schell. Die Demonstranten in Berlin hatten dazu ihre Meinung: „Halt's Maul, Schell“, stand auf einem weiteren Transparent.
Wie die Partner nach der überraschenden Streikverkürzung wieder ins Gespräch kommen wollen, verraten sie vor dem Frankfurter Gerichtssaal nicht. Fragen zu weiteren Verhandlungen müsse man dem Bahnvorstand stellen, blafft Weselsky. „Wir machen doch ständig Angebote“, gab sich Weber unschuldig. Auch er weiß: Weselsky kann - gestärkt durch das Urteil - jederzeit neue Streiks ausrufen.