Hintergrund: Russlands Unruheherd Nordkaukasus
Berlin (dpa) - In Russlands Teilrepubliken im Nordkaukasus gleicht die Lage einem Pulverfass. Seit Ende der Sowjetunion 1991 war die Region Schauplatz von Unabhängigkeitsbestrebungen, Kriegen und Terroranschlägen
In den ersten neun Monaten 2010 vervierfachte sich dort die Zahl islamistischer Gewaltverbrechen nach russischen Angaben im Vergleich zum Vorjahr auf 352. Bei Anschlägen und Anti-Terror-Einsätzen starben 2010 insgesamt knapp 800 Angehörige der Sicherheitskräfte, Untergrundkämpfer sowie Zivilisten.
TSCHETSCHENIEN: Moskau verhinderte die Abspaltung des 15 600 Quadratkilometer großen Gebietes ab 1994 in zwei Kriegen. Terroristen trugen den Kampf immer wieder nach außen, so bei den Geiselnahmen in einem Moskauer Musical-Theater 2002 und in einer Schule im nordossetischen Beslan 2004 mit Hunderten Toten. Seit 2003 wird Tschetschenien von Moskau-treuen Republikchefs beherrscht. Achmat Kadyrow starb 2004 bei einem Bombenanschlag, seitdem regiert dessen Sohn Ramsan Kadyrow. Im Oktober 2010 stürmten schwer bewaffnete Terroristen das Parlament in der Hauptstadt Grosny. Die Bilanz: mindestens sechs Tote und 17 Verletzte.
INGUSCHETIEN: Die Inguschen lebten mit den Tschetschenen in einem Teilstaat, bis diese sich von Moskau lossagten. 1992 wurde der 3600 Quadratkilometer kleine Landstreifen Inguschetien zur eigenen Teilrepublik. Inguschen und Nordosseten lieferten sich danach Kämpfe um umstrittene Siedlungsgebiete mit 700 Todesopfern. Auch in Inguschetien kämpfen islamistische Separatisten für ein unabhängiges „Kaukasus-Emirat“. 2009 starben mindestens 25 Menschen, als sich ein Attentäter in der inguschetischen Stadt Nasran in die Luft sprengte.
DAGESTAN: Die 50 000 Quadratkilometer große Republik am Kaspischen Meer mit etwa 1,8 Millionen Einwohnern gilt weltweit als die Region mit der größten ethnischen Vielfalt. Dort leben etwa 40 verschiedene Völker. Der Krieg zwischen tschetschenischen Rebellen und Russlands Armee griff immer wieder auf Dagestan über. Terrorattacken auf russische Soldaten in Dagestan legt Moskau Tschetschenen zur Last. Im März 2010 sprengten sich zwei Selbstmordattentäterinnen aus Dagestan in Moskauer U-Bahnzügen in die Luft und rissen 40 Menschen mit in den Tod. Die Teilrepublik gilt derzeit als größter Unruheherd.
NORDOSSETIEN: 700 000 Menschen leben in der 8000 Quadratkilometer großen Teilrepublik. 1999 wurden bei einem Bombenanschlag auf dem Markt der Hauptstadt Wladikawkas (auf Deutsch „Beherrsche den Kaukasus“) 52 Menschen getötet. 50 Menschen starben 2003, als ein Attentäter einen Lastwagen mit Sprengstoff in ein Militärhospital der Stadt Mosdok steuerte.
KABARDINO-BALKARIEN: In der armen Republik bilden Arbeitslosigkeit und religiöser Fanatismus ein explosives Gemisch. Die Lage in der 12 000 Quadratkilometer großen Region gilt als relativ stabil. Bei Anschlägen in Russland in den vergangenen Jahren waren allerdings häufig auch Männer aus Kabardino-Balkarien in den Reihen der Terroristen zu finden. Die Region wird mehr und mehr zum Ziel von Terroranschlägen.