Genossen unter Druck Im falschen Film - die SPD und die Groko
Berlin (dpa) — Thomas Oppermann bringt es auf den Punkt: „Wir haben drei Optionen, alle schlecht“, sagte der Niedersachse am Montagabend vor der SPD-Bundestagsfraktion.
Bis zur Wahl hatte Oppermann die Abgeordneten als Zuchtmeister angeführt. Nun ist er auf den Stuhl eines Bundestagsvizepräsidenten gewechselt. Neuwahlen, Tolerierung einer Unions-Minderheitsregierung unter Angela Merkels Führung oder wieder eine große Koalition - die Lage für die SPD ist nach dem Platzen der Jamaika-Sondierungen schwierig. Daran ändert auch der blitzartige Beschluss der Parteiführung nichts, eine Fortsetzung der Groko zu verdammen. Ganz im Gegenteil.
Der Druck auf die Genossen nimmt beinahe stündlich zu, sich zum Wohle des Landes doch noch einmal zu Schwarz-Rot durchzuringen. An diesem Donnerstag fährt Martin Schulz zum Schloss Bellevue im Berliner Tiergarten, um mit dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier über Auswege aus der Regierungskrise zu beraten. Die beiden kennen sich seit Jahrzehnten. Das Verhältnis zwischen dem emotionalen Haudrauf aus dem Rheinland, Schulz, und dem bedächtigen Ostwestfalen Steinmeier war nie gut. Doch persönliche Befindlichkeiten werden bei dem Vier-Augen-Gespräch keine Rolle spielen, dazu ist die Situation zu ernst.
„Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält“, sagte Steinmeier nach dem Platzen der Jamaika-Verhandlungen. Das ging vor allem an die Adresse von FDP-Chef Christian Lindner. Er war bereits am Dienstag in Bellevue zum Rapport. Der Satz darf aber auch auf Steinmeiers eigene Partei gemünzt werden. Schulz wiederholt zwar mantrahaft, Union und SPD hätten bei der Bundestagswahl zusammen 14 Punkte verloren, die große Koalition sei damit abgewählt worden. CDU, CSU und SPD haben im neuen Bundestag jedoch unverändert eine Mehrheit - so dürfte Steinmeier alles versuchen, Schulz zum Einlenken zu bewegen, um die große Koalition vielleicht doch zu verlängern.
Einige Genossen wagen sich inzwischen aus der Deckung und fordern die Parteispitze auf, von der „Ausschließeritis“ in Sachen Groko abzurücken. „Nach dem Aus von Jamaika haben wir eine neue Situation“, sagt der Sprecher des rechten SPD-Flügels, Johannes Kahrs, in der „Passauer Neuen Presse“. Schulz solle offen in das Gespräch mit dem Bundespräsidenten gehen. „Wir können dem Bundespräsidenten nicht sagen: Rums, das war's.“
Wäre eine erneute Groko für die SPD wirklich so schlimm? Würden die Genossen mit dem Mal einer Umfallerpartei auf der Stirn durch die Republik laufen müssen? Mit einer geschickten und vor allem selbstbewussten Erzählung könnte es anders laufen, um einen Mitgliederentscheid pro Groko durchzusetzen. „Die FDP macht sich vom Acker, wir passen auf das Land auf“, sagt ein Genosse.
Die SPD könnte von der Kanzlerin fast jeden Preis fordern - und Merkel nicht nur Zugeständnisse für Europa und die Ziele des französischen Präsidenten Emmanuel Macron abringen, sondern auch Herzensanliegen wie Mindestrenten, Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit und vieles mehr durchsetzen, die das Leben von Frauen, Familien und Arbeitern spürbar verbessern würden. Neben dem Außenministerium müsste die SPD auch das Finanzministerium beanspruchen, heißt es aus der Partei für den Fall der Fälle.
Berechtigterweise antworten Sozialdemokraten auf solche Gedankenspiele mit dem Hinweis, das habe die Partei ja seit 2013 schon so gemacht. Der schwarz-rote Koalitionsvertrag hatte eine klare SPD-Handschrift - am Ende landete die älteste deutsche Partei bei 20,5 Prozent. Aus dem linken Flügel heißt es, die Partei werde im Quadrat springen, wenn man vom Groko-Nein abrücke und die Jamaika-gerupfte Merkel wieder zur Kanzlerin mache.
Aber sind Neuwahlen klüger? Das Verhältnis zur Linken ist ungeklärt, zu den Grünen abgekühlt. Eigene Mehrheiten jenseits der Union sind nicht in Sicht. Und die SPD müsste den ganzen Wahlkampf bei der Frage herumeiern, wie sie denn zu einer Groko steht. In der Fraktionssitzung am Montagabend meldeten sich mehr als 30 Abgeordnete zu Wort. Für und gegen die Groko, aber auch sehr viele Stimmen gegen Neuwahlen, weil das für viele Abgeordnete zur Existenzfrage werden kann, wenn sie nicht wie geplant vier Jahre, sondern nur ein paar Monate im Parlament sitzen.
Gesprächen mit der Union wird sich die SPD nicht verweigern, das hat Fraktionschefin Andrea Nahles bereits deutlich gemacht. Auch eine Tolerierung einer Merkel-Minderheitsregierung sei denkbar, nur dass Merkel dies nicht anstrebt. Was macht jetzt Schulz? Und was machen seine Widersacher? Die Zeit drängt. In zwei Wochen findet der Parteitag in Berlin statt. Bis dahin muss sich die SPD-Spitze sortieren.
Schulz will nicht nur wieder als Parteichef antreten, er dürfte auch bei Neuwahlen die Kanzlerkandidatur beanspruchen, „um die Scharte auszuwetzen“, wie es heißt. „Es gibt ja viele Regisseure auch im wahren Leben, die mal einen besseren und einen schlechteren Film gemacht haben“, sagt etwa die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer über SPD-Regisseur Schulz. Andere in der Führung trauen ihm keinen Blockbuster zu, würden sich bei Neuwahlen eine Frau bei der K-Frage in der Hauptrolle wünschen. Spätestens Weihnachten dürfte das Publikum wissen, ob im Berliner Polit-Kino der schwarz-rote Streifen „Groko Reloaded“ läuft.