Klitschko lehnt Janukowitsch-Zugeständnisse ab
Kiew (dpa) - Im erbitterten Machtkampf in der Ukraine hat Präsident Viktor Janukowitsch der Opposition weitere Zugeständnisse in Aussicht gestellt. Der prorussische Staatschef kündigte für kommenden Dienstag eine Regierungsumbildung an sowie eine Änderung umstrittener Gesetze, die die Versammlungs- und Pressefreiheit einschränken.
Vorgezogene Neuwahlen - eine Kernforderung der Opposition - erwähnte Janukowitsch in seinen Ankündigungen am Freitag nicht. Seine politischen Gegner zeigten sich unbeeindruckt.
Oppositionspolitiker Vitali Klitschko wies die Zugeständnisse als unzureichend zurück. „Janukowitsch muss gehen“, sagte er in Kiew. Zudem forderte der frühere Boxweltmeister die Einschaltung internationaler Vermittler zur Lösung des Konflikts. Der Präsident versuche, sich „um den Preis von Blut und Destabilisierung an der Macht zu halten“, sagte Klitschko.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier bestellte aus Protest gegen das brutale Vorgehen der Behörden den ukrainischen Botschafter Pawel Klimkin ein. Regierungssprecher Steffen Seibert verurteilte abermals die Anwendung von Gewalt. „Wir haben große Sympathie mit der überwältigenden Mehrzahl der Demonstranten, die gewaltfrei und friedlich ihre Bürgerrechte einfordern“, sagte Seibert. Klar sei aber, „dass es auch gewaltbereite Demonstranten gibt“.
Bisher bestätigten die Behörden drei tote Aktivisten. Hunderte Menschen wurden verletzt, darunter auch viele Sicherheitskräfte.
Die Regierungsgegner im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt rüsteten sich derweil für neue Proteste und verstärkten ihre Barrikaden. EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle traf sich mit Janukowitsch zu einem Vermittlungsgespräch. Der Staatschef kündigte zudem neue Verhandlungen mit der Opposition an.
Unklar war, ob Janukowitsch am Dienstag das gesamte Kabinett oder nur besonders umstrittene Politiker wie Regierungschef Nikolai Asarow oder Innenminister Witali Sachartschenko entlassen würde. Der Präsident kündigte des weiteren an, gemeinsam mit der Opposition die umstrittenen Gesetze zur Versammlungs- und Pressefreiheit zu überarbeiten, die die monatelangen Proteste angeheizt hatten. Zudem versprach Janukowitsch, diejenigen festgenommen Demonstranten zu begnadigen, die keine schweren Straftaten begangen hätten.
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz schlug eine internationale Konferenz zur Ukraine vor. „Wir müssen der Ukraine zunächst die Chance geben, den Dialog selbst zu führen. Lässt sich dadurch die Lage nicht beruhigen, dann wäre ein internationaler Dialog sicherlich hilfreich“, sagte der SPD-Politiker der „Bild“-Zeitung (Samstag).
Aktivisten errichteten neue Posten etwa an der stark genutzten Metrostation Kreschtschatik. Zudem besetzten sie das Agrarministerium. Die Ukraine ist das wichtigste Transitland für russische Gaslieferungen in die Europäische Union.
Im nationalistisch geprägten Westen der Ex-Sowjetrepublik besetzten Demonstranten in verschiedenen Städten offizielle Gebäude. „Heute sind es nur ein paar Städte - morgen werden es aber viel mehr. Heute sind es nur ein paar Barrikaden - morgen aber noch mehr“, betonte Klitschko.
In Kiew hatten prowestliche Oppositionspolitiker wie Klitschko und der frühere Parlamentspräsident Arseni Jazenjuk in der Nacht zum Freitag nach fast fünfstündigen Gesprächen mit Janukowitsch keinen Durchbruch erzielt. Sie riefen ihre Anhänger dennoch zur „Waffenruhe“ und Geduld auf. Allerdings reagierten viele Menschen mit Pfiffen und Buhrufen auf die Bitte.
Janukowitsch betonte bei einem Treffen mit Geistlichen, allgemein hätten sich die Sondereinheiten „völlig korrekt“ gegen gewaltbereite Regierungsgegner gewehrt. Polizisten, die nicht im Rahmen der Gesetze gehandelt hätten, würden entlassen. Der Staatschef ernannte den Chef des Nationalen Sicherheitsrates, Andrej Kljujew, zum Leiter der Präsidialverwaltung. Die Opposition macht Kljujew für Gewalt gegen Demonstranten verantwortlich.
Das Parlament im Nachbarland Polen verurteilte in einer Erklärung die Eskalation der Gewalt scharf. Auch Litauen bestellte den ukrainischen Botschafter in Vilnius ein. In Russland beriet Kremlchef Wladimir Putin die Lage im „Bruderstaat“ mit dem Sicherheitsrat. Außenminister Sergej Lawrow besprach die Situation mit seinem Kollegen Steinmeier.
Trotz eisiger Temperaturen von bis zu minus 20 Grad hatten in der Nacht Tausende Menschen auf dem Unabhängigkeitsplatz - dem Maidan - ausgeharrt, den Regierungsgegner seit Monaten besetzt halten. Klitschko rief Abgeordnete der regierenden Partei der Regionen auf, zu den Demonstranten überzulaufen. „Erinnern Sie sich daran, dass Sie von Menschen gewählt wurden und nicht von Janukowitsch“, sagte er.
Die Proteste waren ausgebrochen, nachdem der Präsident Ende November auf Druck Russlands ein von der Opposition als historische Chance betrachtetes Annäherungsabkommen mit der Europäischen Union auf Eis gelegt hatte.