Kurden betrauern ihre Kämpfer: „Das sind meine Märtyrer“
Suruc (dpa) - Hunderte Menschen begleiten die Toten auf ihrem letzten Weg. Die Särge von drei kurdischen Kämpfern sind in Fahnen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK gehüllt, sie ruhen auf den breiten Schultern von ernst blickenden jungen Männern.
Die Menschenmenge - Männer, Frauen und Kinder - singt, während sich der Trauerzug seinen Weg von der Leichenhalle des Krankenhauses im türkischen Suruc bis zum Friedhof am Stadtrand bahnt. Es ertönen nationalistische kurdische Slogans, und immer wieder der Refrain: „Märtyrer sterben nie“.
Die Kurden wurden im Kampf um die syrische Stadt Kobane getötet. „Diese Menschen sind gestorben, weil Amerika nicht mehr tut“, sagt Atto mit Blick auf die drei Särge im Friedhof von Suruc. Die Grenzstadt liegt nördlich von Kobane. Dort kämpfen kurdische Volksschutzeinheiten (YPG) gegen den Vormarsch der Extremisten der Terrormiliz Islamischer Staat an.
Atto musste aus seinem Heimatdorf Korali in der Nähe von Kobane fliehen, als der IS vorrückte. In den meisten kurdischen Ortschaften in der Region lebe niemand mehr, erzählt der 63-jährige Baumwollbauer. „Das sind meine Märtyrer. Selbstverständlich muss ich zu ihren Begräbnissen kommen. Ohne ihr Opfer werden wir niemals unsere Rechte und unsere Freiheiten bekommen.“
Die drei toten Kämpfer heißen Saida, Raidur und Bangin. Zwei von ihnen stammten aus Kobane, einer war türkischer Staatsbürger. Doch das ist hier egal. Sie waren vor allem Kurden, die Staatsangehörigkeit ist zweitrangig.
Im Trauerzug sind Bilder von Arin Mirkan allgegenwärtig. Es ist das Pseudonym der im syrischen Afrin geborenen Dilar Gencxemis. Sie befehligte eine YPG-Einheit und wurde vor wenigen Tagen zur ersten kurdischen Selbstmordattentäterin in Kobane. Als alles verloren schien, sprengte sie sich mit einer Granate in die Luft. Dabei tötete sie nach Angaben der YPG auch bis zu zwei Dutzend IS-Extremisten, die im Begriff waren, die Stadt zu erobern.
Wie viele andere in Kobane getötete Kurdenkämpfer wird Arin vielleicht nie ein richtiges Begräbnis erhalten, aber sie ist ein Symbol für den Kampf. Bei jeder Trauerfeier für ihre Kampfgefährten ist sie zugegen, kleine Jungs und alte Frauen - sie alle halten Fotos von Arin in die Luft. Sie lächelt im Kampfanzug von den Bildern, ihr Haar zu einem Zopf zusammengebunden.
Als die Särge den Friedhof erreichen, unterbricht ein muslimisches Gebet nur kurz die PKK-Slogans. Ein Mann hat sein eigenes Gebet - und die Menschenmenge stimmt mit ein: „Eines Tages werden die Kinder von Erdogan und der türkischen Regierung auch im Grab liegen.“
Die Wut auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist groß. Viele Kurden werfen ihm vor, die Dschihadisten zu unterstützen und nichts gegen den drohenden Fall Kobanes zu unternehmen. Erdogan hat klargemacht, dass er die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK für nicht weniger gefährlich hält als den IS. Und die Volksschutzeinheiten in Kobane sind eng mit der PKK verbunden.
„Erdogan sagt, IS und PKK seien dasselbe“, kritisiert der Kurde Atem Polat. „Wie soll das möglich sein? Es soll mal jemand versuchen, eine Stunde mit IS zu verbringen - seht mal, ob er das überlebt. Komm zur PKK, da kannst du zehn Jahre bleiben und dir wird nichts passieren“, fügt der 53-jährige hinzu. „Die ganze Welt ist gegen IS. Bis auf Erdogan.“
Die letzte der drei Leichen wird in ihr Grab hinabgelassen. Über Kobane und Suruc geht die Sonne unter. Die Männer nehmen die Flaggen von den Särgen. Die Mutter eines der Toten läuft tränenüberstömt zum Grab. Sie will ihrem Sohn einen Abschiedskuss geben. Eine Frau beginnt zu singen. Ihre Worte sind an die trauernde Mutter gerichtet. Die Menge stimmt mit ein. Ein Lächeln huscht über das Gesicht der Mutter, für einen kurzen Moment scheint sie Trost zu finden.
„Sieh mal dort“, sagt Atto, der Baumwollfarmer. In der Ferne über Kobane steigt Rauch auf. Ein Luftschlag der USA und ihrer Verbündeten gegen eine Stellung des IS. Auch Atto lächelt nun und hofft auf den Tag, an dem er heimkehren kann.