Salvador Sobral gewinnt Levina schrammt am letzten ESC-Platz vorbei

Kiew (dpa) - Salvador Sobral zeigt nicht die großen Emotionen. Eher ungläubig blickt der Portugiese in die Kamera. Dass er gerade einen der wichtigsten Musik-Wettbewerbe Europas gewonnen hat, ist ihm nicht wirklich anzusehen.

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Ruhig und gelassen geht der introvertierte Sieger des Eurovision Song Contest (ESC) in Kiew auf die Bühne. „Musik ist kein Feuerwerk. Musik ist Gefühl“, sagt der 27-Jährige, als er die Trophäe, ein gläsernes Mikrofon, überreicht bekommt. Musik sei keine austauschbare Ware. Wie so vieles, das an diesem Abend gezeigt wurde.

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Mit großem Abstand lässt Sobral mit dem melancholischen, in seiner Muttersprache gesungenen jazzigen Liebeslied „Amar Pelos Dois“ die kunterbunte ESC-Konkurrenz hinter sich. 758 Punkte gelingt es ihm zu holen. Es ist der erste Sieg in der 53-jährigen ESC-Historie des Landes. Noch nie hat es Portugal unter die Top Five geschafft.

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Auch Deutschland setzt auf einen kühlen, reduzierten Auftritt. Levina („Perfect Life“) verzichtet auf das große Tamtam. Dennoch geht sie unter. Der britische „Guardian“ nennt das Lied „süß, aber leicht zu vergessen.“ Die Wahl-Berlinerin landet auf dem vorletzten Platz unter den 26 Kandidaten. Der Auftritt war fehlerfrei, jeder Schritt schien zu sitzen, jeder Ton auch. Ein Moderator nannte die 26-Jährige die „perfekte Deutsche“. ARD-Kommentator Peter Urban betonte immer wieder: „Wir haben nichts falsch gemacht.“

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Anders als Ann Sophie 2015 in Wien und Jamie-Lee 2016 in Stockholm bleibt immerhin der allerletzte Platz erspart, Levina schrammt mit sechs Punkten nur knapp daran vorbei. Drei Jury-Punkte gibt es aus Irland, von den Zuschauern noch einmal so viele. Nur eine fade Surfer-Nummer aus Spanien schneidet noch schlechter ab. Manch einer will am Ende scherzhaft ein Ringen um den letzten Platz heraufbeschwören. TV-Komiker Oliver Kalkofe twittert in der Nacht zum Sonntag: „Mist! Um 1 Punkt gegen Spanien das Ziel verfehlt!“

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Für Levina ist der Platz nur ein kleiner Trost, ihr kommen während der Abstimmung die Tränen. Erst nach dem Irland-Voting hat sie das Null-Punkte-Tal verlassen; der Druck fällt. Dann lächelt sie wieder. „Wir sind nicht Letzter geworden, sondern Vorletzter“, betont sie.

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Woran es gelegen hat? „Ich weiß es leider nicht“, sagt Levina. Sie war mit ihrem Auftritt selbst sehr zufrieden. Nun dürfte die altbekannte Diskussion wieder aufflammen: Was macht Deutschland bloß falsch? Warum mag keiner da draußen unsere Musik? Moderatorin Barbara Schöneberger bringt es trotzig auf den Punkt: „Ich weiß auch nicht, was wir noch machen sollen. Costa Cordalis schicken?“

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In Kiew selbst läuft fast alles nach ESC-Routine, wenige Sekunden zieht ein Flitzer blank. Er stürmt während einer Pauseneinlage die Bühne. Der große ESC-Skandal ist bereits Wochen vor der Glitzerveranstaltung ausgetragen worden - Russland ist nach einem diplomatischen Streit ausgestiegen.

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Dass dann Moskau aber mit einer Art Trojanischem Pferd trotzdem irgendwie teilnimmt, nehmen die Zuschauer nur am Rande wahr. Der Bulgare Kristian Kostov ist eigentlich Moskauer. Ob jugendliche Albernheit oder aus Solidarität zu der gesperrten russischen Künstlerin Julia Samoilowa: Der 17-Jährige kündigt einem russischem Fernsehteam an: „Im Falle eines Sieges zertrümmere ich euch die gläserne Siegestrophäe!“. Erst Stunden später zieht er es als „Witz“ zurück. Ob das Bulgarien - mit Italien und Portugal einer der Favoriten - am Ende die entscheidenden Stimmen gekostet hat?

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Alles in allem fällt auf: Die Kandidaten sind sehr jung. Die Sänger aus Australien, Belgien und Bulgarien sind gerade mal 17 Jahre alt, Kostov gar der erste Teilnehmer überhaupt, der im 21. Jahrhundert geboren wurde. Zudem nutzten die Länder vermehrt ihre Muttersprache in ihren Liedern: Weißrussland zeigt heimischen Folk-Rock, Ungarn lässt einen Roma rappen, Francesco Gabbani bringt Italo-Charme auf die Bühne.

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Das Extravagante fehlt in Kiew im Finale vollkommen. Den einzigen Stirnrunzel-Faktor, Slavko Kalezic aus Montenegro, kickten die Zuschauer bereits im ersten Halbfinale raus. Er konnte trotz meterlanger Zopfpeitsche nicht überzeugen. Übrig blieben: Drama in weißen, brautähnlichen Kleidchen, lange Frauenbeine und strenge Choreographien aus dem Mittelmeerraum.

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In dieser glatten Bonbonwelt sticht der Portugiese Salvador Sobral eindeutig hervor. Er lebt seine Lieder selbst bis in die Fingerspitzen. „Ich habe nie ein Lied geschrieben, um im Radio gespielt zu werden“, sagt Sobral nach seinem Sieg. Er selbst sieht den Rummel gelassen: „Nächsten Monat erinnert sich keiner mehr daran.“