Militärintervention in Syrien: Pro und Kontra
Kairo/Berlin (dpa) - Das Leid der Zivilbevölkerung in Syrien bewegt die Welt seit zweieinhalb Jahren. Mehr als 100 000 Syrer kamen im Bürgerkrieg ums Leben. 6,8 Millionen Menschen sind laut Vereinten Nationen auf der Flucht, darunter rund drei Millionen Kinder.
„Es steht nicht weniger auf dem Spiel als das Überleben und das Wohl einer ganzen Generation Unschuldiger“, mahnt Flüchtlingskommissar António Guterres. Dem Weltsicherheitsrat sind jedoch die Hände gebunden: Russland und China verhindern mit ihrem Veto jede Resolution gegen Syriens Machthaber Baschar al-Assad.
PRO: Nun müsse endlich etwas geschehen, sagen Befürworter einer Militärintervention nach Hinweisen auf ein Massaker mit Giftgas in der Nähe von Damaskus. US-Präsident Barack Obama warnte Damaskus vor einem Jahr, mit einem Giftgaseinsatz werde eine „rote Linie“ überschritten - und drohte mit einem Militäreinsatz der USA. Nun sagt er: „Das berührt langsam Kerninteressen der USA.“ Das US-Militär prüft Optionen für Luftangriffe, die Flottenpräsenz im östlichen Mittelmeer wird verstärkt.
Für den einflussreichen US-Senator John McCain geht es um die Glaubwürdigkeit Amerikas. Wenn Obama jetzt nicht handele, könnte das Wort des US-Präsidenten in der gesamten Region nicht mehr ernst genommen werden, warnt er. „Wir können die Start- und Landebahnen und 40 oder 50 Flugzeuge zerstören“, die die syrische Luftwaffe einsetze, sagt McCain. Die USA könnten Raketen einsetzen, die Kosten wären gering, Soldaten würden nicht gefährdet.
International werden Rufe lauter, eine härtere Gangart gegen Assad einzuschlagen. Mehrere Staaten, allen voran Frankreich, verlangen ein entschiedenes Vorgehen. Der französische Außenminister Laurent Fabius fordert, sollten Giftgas-Angriffe der Regierungstruppen bewiesen werden, sei mehr als eine internationale Verurteilung notwendig. Dann müsse es eine „Reaktion der Stärke“ geben.
KONTRA: Gegner einer Militärintervention wie Bundeskanzlerin Angela Merkel dringen auf eine politische Lösung, um das Blutvergießen in Syrien zu beenden. An diesem Mittwoch soll es in Den Haag erneut um die Einberufung einer Friedenskonferenz gehen.
Ein Militäreinsatz ohne UN-Mandat gilt als äußerst schwierig. Eine Koalition wie zuletzt in Afghanistan dürfte sich im Fall Syrien kaum finden, meinen Experten.
Hinzu kommt, dass noch nicht abschließend geklärt ist, ob und durch wen Chemiewaffen eingesetzt wurden. In der Nähe der syrischen Hauptstadt Damaskus sollen nach Rebellenangaben am Mittwoch Hunderte Menschen durch einen Giftgaseinsatz der Regierungstruppen getötet worden sein. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen berichtet von 3600 Patienten mit Vergiftungssymptomen, 355 seien gestorben. Assads Regime weist die Vorwürfe der Rebellen zurück und beschuldigt die Aufständischen. UN-Inspekteure, die im Land sind, durften bislang nicht an den Ort des Geschehens.
Die Außenminister der Arabischen Liga verurteilten Anfang Juni „alle Formen ausländischer Intervention“ in Syrien. Russische Offizielle sichern Assad demonstrativ die vertraglich vereinbarten Flugabwehranlagen vom Typ S-300 zu. Im Mittelmeer kreuzen russische Kriegsschiffe. Nicht einmal einen Monat dauere es, die syrischen Spezialisten an den Anlagen zu schulen, kündigte der frühere Luftwaffenchef Anatoli Kornukow schon im Mai an.
Ein militärisches Eingreifen könne unabsehbare Folgen im Pulverfass Nahost haben, warnen Experten. Der Konflikt zwischen den islamischen Glaubensrichtungen könnte sich in der ganzen Region verschärfen. Die Mehrheit der Aufständischen in Syrien sind sunnitische Muslime. Die Schiiten unterstützen eher das Regime. Die libanesische Schiiten-Miliz Hisbollah steht fest an der Seite Assads.
2003 waren die USA mit einer „Koalition der Willigen“ in den Irakkrieg gezogen. Nach Abzug der US-Truppen brach der blutige Machtkampf zwischen Sunniten und Schiiten neu aus.