Neue EU-Finanzsteuer soll 57 Milliarden Euro bringen
Straßburg (dpa) - Die EU-Kommission möchte die Finanzmärkte zur Kasse bitten. Aber möglicherweise ist der Vorschlag für eine Finanztransaktionsteuer ein totgeborenes Kind. Die Steuer kommt nur, wenn alle dafür sind.
Die Regierung in London zeigt schon mal die rote Karte.
Die EU-Kommission schlug am Mittwoch vor, von Anfang 2014 an eine Finanztransaktionsteuer zu erheben. Sie soll nach Berechnungen der Behörde 57 Milliarden Euro pro Jahr einbringen. Zuvor hatte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso noch von 55 Milliarden Euro gesprochen.
Dass die Mitgliedstaaten die Steuer tatsächlich beschließen, ist höchst fraglich. Ein Sprecher des britischen Finanzministeriums sagte dem Sender BBC, London werde die Steuer notfalls per Veto verhindern. Die Steuer sei nur denkbar, wenn sie weltweit eingeführt werde. Auch Schweden und die Niederlande haben Bedenken. Für einen Beschluss ist Einstimmigkeit aller 27 EU-Staaten nötig.
„Es ist jetzt an der Zeit, dass der Finanzsektor der Gesellschaft einen Beitrag zurückzahlt“, sagte Barroso vor dem Europaparlament. Die EU habe seit Beginn der schweren Wirtschaftskrise 4,6 Billionen Euro Hilfen und Garantien für den Finanzsektor zur Verfügung gestellt. „Wenn unsere Bauern, unsere Arbeiter und alle Bereiche der Wirtschaft ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten, dann sollte der Finanzsektor auch einen solchen Beitrag leisten.“
Im September 2008 war die US-Großbank Lehman Brothers nach Spekulationen mit Schrottanleihen zusammengebrochen. Im Sog der Pleite rutschte die Weltwirtschaft in eine schwere Rezession.
Die Kommission schlägt vor, etwa 85 Prozent aller Geschäfte zwischen Finanzinstituten zu besteuern. Auf den Wert von Aktien und Anleihen sollen mindestens 0,1 Prozent, auf abgeleitete Finanzinstrumente (Derivate) mindestens 0,01 Prozent Steuer erhoben werden. Dies sei gerechtfertigt, weil in den meisten Ländern Finanzdienstleistungen von der Mehrwertsteuer ausgenommen seien.
Die Steuer gilt nicht für private Geschäfte von Konsumenten - beispielsweise Versicherungen, Hypotheken oder Kredite, sondern nur für spekulative Geschäfte. Sie soll auch bei Ausgabe von Anleihen und bei allen Geschäften der Europäischen Zentralbank sowie der nationalen Zentralbanken nicht fällig werden. Damit soll der Zugang von Staaten und Unternehmen zu frischem Kapital gesichert werden.
Die Steuer soll immer dann gezahlt werden, wenn einer der Vertragspartner beim Kauf von Anteilen, Anleihen, Derivaten oder strukturierten Finanzprodukten in der EU ansässig ist - also auch dann, wenn mit einem Finanzinstitut außerhalb der EU gehandelt wird.
Die Kommission will, dass ein bisher noch nicht feststehender Teil der Milliarden aus der Finanzsteuer direkt in den EU-Haushalt fließen. Im Gegenzug sollen die Regierungen weniger Beiträge nach Brüssel überweisen. Dieser Wunsch nach neuen „Eigenmitteln“ wird jedoch von einer Reihe von Regierungen, darunter auch der deutschen, energisch abgelehnt.
Der für Steuerfragen zuständige EU-Kommissar Algirdas Semeta räumte ein, die Einführung der Finanztransaktionssteuer könne das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,5 Prozent schmälern. Dem stünden aber erhebliche Einnahmen gegenüber. Die Steuer trifft demnach vor allem jene 40 Prozent der Transaktionen, bei denen im sogenannten Hochfrequenzhandel per Computer sehr schnell viele einzelne Käufe und Verkäufe getätigt werden: „Da wird man das Geschäftsmodell ändern müssen. Aber das ist sowieso eine sehr risikoreiche Aktivität.“
„Es ist gut, dass die EU-Kommission endlich aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht ist und Initiative zeigt“, erklärte der SPD-Wirtschaftssprecher im Europaparlament, Udo Bullmann. „Es ist höchste Zeit, das die Verursacher an den Kosten der Krise beteiligt werden.“