Analyse Nordkorea dreht an der Eskalationsschraube
Seoul/Tokio (dpa) - Die Verschnaufpause war nur von kurzer Dauer. Der jüngste nordkoreanische Test einer weitreichenden Rakete, die am Dienstag über Japan flog, hat den zart aufkeimenden Hoffnungen auf eine Entspannung in der Region einen herben Dämpfer versetzt.
Nordkorea dreht mit seinem neuerlichen Manöver im Konflikt um sein Atomprogramm ein weiteres Mal an der Eskalationsschraube. Denn der Test ist auch ein Schlag ins Gesicht von US-Präsident Donald Trump, der sich noch vor wenigen Tagen zuversichtlich geäußert hatte, Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un beginne, „uns Respekt zu zollen“. Auch US-Außenminister Rex Tillerson sagte anerkennend, Nordkorea habe seit der Verhängung neuer Sanktionen des UN-Sicherheitsrats in diesem Monat wegen der Interkontinentalraketentests (ICBM) des Landes im Juli „keine weiteren Provokationen“ mehr unternommen.
Doch dieser Zweckoptimismus scheint vorerst dahin. Trump betonte jetzt nach dem neuen Raketenversuch, dass „alle Optionen auf dem Tisch“ lägen. Vor der vermeintlichen kurzen Entspannungsphase hatten sich Washington und Pjöngjang, das den USA eine feindselige Politik unterstellt, bereits gegenseitig mit scharfen Drohungen überzogen. Trump drohte der kommunistischen Führung in Pjöngjang „mit Feuer und Zorn“. Kim drohte zwischenzeitlich, vier Mittelstreckenraketen in die Gewässer um die für die USA strategisch wichtige Pazifikinsel Guam abzufeuern.
Kim scheint sich jedenfalls auf ein langes Kräftemessen mit Trump einzurichten. Der Zeitpunkt des Raketentests war nach Einschätzung von Experten bewusst gewählt. „Das nordkoreanische Regime hat einen scharfen Sinn dafür, wie es mit seinem beschleunigten Raketentestprogramm maximale Wirkung erzielt“, schreibt der Direktor beim Informationsdienst IHS Jane's, Paul Burton. Absicht des Tests einer mutmaßlichen Mittelstreckenrakete des Typs Hwasong-12 sei es wohl gewesen, „bei Washington und seinen Verbündeten mehr Achtung zu erlangen, ohne zu sehr zu provozieren“.
Mit seinem Verhalten signalisiert Nordkorea nach Meinung von Beobachtern zweierlei: Dass das Land im Konflikt um sein Atom- und Raketenprogramm nicht einlenken will - und dass es jederzeit imstande ist, Guam mit seinen Raketen zu erreichen.
Die Rakete am Dienstag legte nach südkoreanischen Angaben auf dem Weg über Japan eine Strecke von 2700 Kilometern zurück, bevor sie in den Pazifischen Ozean niederging. Die Distanz zwischen Pjöngjang und Guam in die andere Richtung beträgt etwa 3000 Kilometer.
Der frühere japanische Vize-Admiral Yoji Koda glaubt, Kim habe die USA provozieren wollen, der Test habe sich nicht in erster Linie gegen Japan gerichtet. Trotzdem wolle Pjöngjang den Streit mit Trump offenbar nicht auf die Spitze treiben, sagte er der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo. Wäre die Rakete nahe von Guam niedergegangen, wäre die Reaktion „heftig“ ausgefallen, urteilte er.
China sieht jedoch inzwischen einen „kritischen Punkt“ im Konflikt auf der koreanischen Halbinsel erreicht. „Druck, Sanktionen und Drohen“ hätten nicht geholfen, die Probleme zu lösen, sagte eine Sprecherin des Pekinger Außenministeriums. Nur mit einer Rückkehr an den Verhandlungstisch könne man die Situation entspannen.
Auch die Regierung in Tokio sieht eine neue Eskalationsstufe. Ein Sprecher sprach von einer „beispiellos ernsten und schwerwiegenden Bedrohung“ für die Sicherheit des eigenen Landes. Zum ersten Mal flog eine ballistische Rakete Nordkoreas über japanisches Gebiet. Bei diesem Raketentyp handelt es sich in der Regel um Boden-Boden-Raketen, die einen konventionellen, chemischen, biologischen oder atomaren Sprengkopf ins Ziel befördern können.
1998 hatte Nordkorea eine Satellitenrakete abgefeuert, von der Teile über Japan hinweggeflogen waren. Dies hatte Japan damals zum Anlass genommen, den Bau von Spionagesatelliten zu beschließen. Auch 2009 flog eine Rakete über Japan hinweg - Nordkorea sprach wiederholt von einer Weltraumrakete, die einen Satelliten zu friedlichen Zwecken ins All befördern sollte. Allerdings werfen die USA und ihre Verbündeten Nordkorea vor, unter dem Deckmantel des Satellitenprogramms nur die Technik für Langstreckenraketen voranbringen zu wollen.
Durch den jetzigen Raketenabschuss dürfte sich auch der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe in seiner Haltung bestätigt sehen - zumal das Manöver unangekündigt erfolgt sein soll. Abe will seit langem die pazifistische Nachkriegsverfassung ändern, um Japans „Selbstverteidigungskräfte“ rechtlich zu legitimieren. Die Regierung diskutierte in den vergangenen Monaten zudem laut über Pläne für eine mögliche Evakuierung von Japanern aus Südkorea. Kritiker sprachen indes von Panikmache: Abe wolle Angst in der Bevölkerung schüren, um seine politischen Ziele durchzusetzen.