Demonstrationen in Russland Petersburger trotzen Protest-Verbot und der Polizei

St. Petersburg (dpa) - Die Stimmung ist angespannt. Ein harmloser Knall, die Menschenmenge läuft im St. Petersburger Stadtzentrum plötzlich panisch auseinander. Polizisten ziehen einzelne Demonstranten aus der Menge.

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Ein blonde Frau schreit laut, sie wird in einen Polizeibus gezerrt.

Was eigentlich als friedlicher Protestzug gegen die russische Staatsspitze beginnt, endet in einem kurzfristigen Chaos. Von den lauten Rufen nach einer Freilassung des eingesperrten Kremlkritikers Alexej Nawalny ist nach wenigen Minuten nichts mehr zu hören. Die Einsatzkräfte sperren den Durchgang, und lösen den Protestzug kurzerhand auf.

Denn ausgerechnet zu Putins Geburtstag - er wurde am Samstag 65 Jahre alt - soll es keine Bilder eskalierender Gewalt wie im März und im Juni geben. Das klappte auch - bis kurz vor Ende der Proteste. „Alles Gute!“ rufen die Demonstranten laut, als sie in der Heimatstadt des russischen Präsidenten durch die Straßen ziehen. „Ein tolles Geschenk an dein Land, Wolodja!“, ruft später ein Demonstrant, als die Polizei die ersten Menschen aus den Reihen zieht.

Nicht nur Aktivisten und Anhänger sind auf die Aktionen vorbereitet, sondern auch die Polizei. Im Laufe des Tages gibt es Nachrichten über einzelne Festnahmen in einigen sibirischen Städten; in Moskau bleibt es jedoch trotz fehlender Genehmigung der Stadt weitgehend ruhig, es kommen weniger Menschen als erwartet.

Die Polizei in St. Petersburg will kein Risiko eingehen, immerhin ist hier die größte Aktion der Nawalny-Unterstützer geplant. Die Polizei sperrt schon Stunden vorher die Zugänge zum Protestort ab. Parkbänke werden schnell frisch gestrichen, damit es sich die Demonstranten in der warmen Herbstsonne nicht allzu gemütlich machen können.

Am Nachmittag sammeln sich Nawalnys Anhänger dennoch auf dem Marsfeld in Sichtweite der markanten Zwiebeltürme der Blutskirche wenige Gehminuten von der Prachtstraße der ehemaligen Zarenstadt, dem Newski Prospekt, entfernt. Hierhin wollen Tausende Menschen ziehen - bis sie von der Polizei zum Aufgeben gezwungen werden.

Für den jungen Arzt Daniil ist es selbstverständlich, dass er trotzdem auf die Straße geht und gegen Russlands Führung protestiert. „Putin ist schon so lange an der Macht. Ich wünsche ihm und unserem Land, dass seine Amtszeit bald endet“, sagt er der Deutschen Presse-Agentur.

Es sei Zeit, dass junge Politiker eine Chance bekommen, die nicht mit dem Machtapparat verbunden sind. Daniils Favorit ist dabei der Blogger Nawalny, der bei der Präsidentenwahl im kommenden Jahr antreten will. Doch Nawalny fehlt das grüne Licht der Wahlkommission: Sie schließt eine Kandidatur des 41-jährigen Juristen wegen einer Bewährungsstrafe aus. Und immer wieder steht er wegen unerlaubter Demonstrationen unter Arrest - auch aktuell.

In wenigen Monaten steht in Russland die Präsidentenwahl an: Putin gilt als sicherer Kandidat, auch wenn er sich selbst noch nicht offiziell dazu bekannt hat. Besonders die russischen Schüler und Studenten, die es immer wieder zu den Protesten zieht, wollen eine Veränderung für Russland.

„Das Land braucht zumindest mal eine Auswahl an Kandidaten“, sagt Nastja. Die 20-Jährige hat bislang nur Putin als tonangebenden Politiker kennengelernt. Der Kremlchef ist seit 2000 an der Macht - lediglich ein vierjähriges Intermezzo als Regierungschef ab 2008 unterbrach seine Präsidentenzeit.

Die Russin Irina hat auch genug davon, dass es keinen differenzierten Wahlkampf gibt, keine ausgewogene Berichterstattung und nur selten politische Diskussionen. „Wir wollen - und noch wichtiger: wir brauchen faire Wahlen“, sagt die 65-Jährige.

Einige Demonstranten in St. Petersburg sind zum ersten Mal bei einer Nawalny-Demo dabei. Im Internet hat sich Katja Videos von Nawalny angesehen; eine Freundin habe sie schließlich überredet, sich selbst ein Bild von den Protesten zu machen, über die das Staatsfernsehen kein Wort in den Nachrichten verliert.

Die Aufmerksamkeit, die Nawalny durch die Demonstrationen gewinnt, seien ein kluges Manöver, sind sich russische Politologen sicher. Obwohl ihm bislang der Weg für die nächste Präsidentenwahl versperrt ist, bringe er sich dadurch für andere politische Rennen in Stellung. Doch Nawalny müsse sich auch eine neue Strategie überlegen, um Anhänger nicht zu verschrecken, sagt der Moskauer Experte Waleri Solowej. „Man darf die Behörden nicht unterschätzen und nur auf die Kraft des eigenen Aufrufs und Charismas hoffen.“