Porträt: Einzelkämpfer Claus Weselsky

Berlin (dpa) - Er traut sich tatsächlich noch allein auf einen Bahnhof. An dem Tag, an dem Claus Weselsky den bisher längsten Bahnstreik in diesem Jahr vom Zaun bricht, baut er sich auf einem belebten Bahnsteig in seiner Heimatstadt Dresden auf, um noch einmal seine Argumente vorzubringen.

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Kein Personenschutz, keine weiteren Lokführer, nicht mal ein Pressesprecher. Der Mann, der gerade dabei ist, Tausenden Deutschen den Start in die Herbstferien zu verderben und Kraftwerken die Kohlezufuhr abzuschneiden, braucht das nicht.

Martin Luther - keinen Geringeren hat sich der 55-Jährige zum Vorbild genommen, den Reformator, der seine Kirchenkritik gegen alle Widerstände durchfocht und so die Reformation auslöste.

Weselsky, Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), geht es zwar nur um mehr Geld für rund 20 000 Lokführer und etwas mehr Macht für seine Gewerkschaft. Aber: „Luther hat seine Ziele und Ideale aufrichtig verfochten.“ So begründet Weselsky die Auswahl seines Vorbilds in einem „Zeit“-Interview. „Ich bewundere seine Standhaftigkeit. Er war auch dann noch konsequent in seinem Handeln, als es schwierig für ihn wurde.“

Auf dem Dresdner Bahnhof wird es für ihn nicht schwierig. Weselsky streckt den Nacken durch und spricht in das Spalier aus Kameras und Mikrofonen. Hinter ihm strömen die Reisenden aus den Zügen, kaum einer bleibt stehen. Weselsky, CDU-Mitglied, sauber gestutzter Oberlippenbart, brauner Anzug, rote Krawatte, tritt stets gepflegt auf. Akkurat - das Wort passt besser. Manche beschreiben ihn als kühl.

Doch wenn er in Rage gerät, kann der Liebhaber klassischer Musik auch unfein werden. Mit einem Behindertenvergleich zog er vor Wochen viel Kritik auf sich und musste sich entschuldigen. Starke Worte auch im Tarifkonflikt mit der Bahn: „Perfide“ gehe das Unternehmen vor, „Scheinheiligkeit“ ist einer der eher noch freundlichen Vorwürfe.

Im Tarifkonflikt geht er aufs Ganze, denn er ist sich seiner Macht bewusst. Fast vier von fünf Bahn-Lokführern sind in der GDL organisiert, das macht die Gewerkschaft schlagkräftig. Der jüngste Streik traf den Osten besonders stark, wo die Lokführer der Reichsbahn nach der Wende in großer Zahl in die GDL eintraten. Weselsky half, die älteste deutsche Gewerkschaft dort wieder aufzubauen.

Ihn hatte die Reichsbahn in den 1970ern erst zum Schlosser, dann zum Lokführer ausgebildet. Bis 1992 arbeitete Weselsky in dem Beruf, zuletzt als Personaldisponent und Lokleiter in Pirna. In der GDL stieg er 2007 zum Bundesvorsitzenden auf.

Kritiker dort werfen ihm einsame Entscheidungen vor. In gewisser Weise passt das zu einem Lokführer, der allein im Führerstand verantwortlich für die Reisenden in den Wagen hinter ihm ist. Er sei keiner, der ständig im Team arbeiten müsse, soll der 55-Jährige einmal gesagt haben. Der geschiedene Vater eines erwachsenen Sohnes hat auch ein Hobby, das dazu passt: Tauchen.