Report: „Bitteres Ausharren“ in Magdeburg
Magdeburg (dpa) - Jens Rieffenberg steht mit einem Kaffee in der Hand am Deich hinter seinem Restaurant in Magdeburg-Prester. Er wirkt unaufgeregt, fast entspannt. Die Sonne scheint, Wildenten schwimmen vorbei, es weht eine laue Brise.
Doch die Idylle trügt.
„Es ist ein bitteres Ausharren“, sagt der 47-Jährige, ohne seinen Blick von den riesigen Wassermassen abzuwenden, zu denen sich die Elbe und der Prester See vereinigt haben.
Vor sechs Jahren, 2007, hat Rieffenberg die alte Kirche gekauft und zu einem Restaurant umgebaut. Vergangenen Donnerstag hat er sie geschlossen. Nass ist bisher nichts geworden. Der Deich hält, aber das Grundwasser drückt unaufhörlich.
„Da auf dem Stein hat jemand einen roten Punkt gesprüht. Das war der höchste Stand“, sagt Rieffenberg. Am Montag hat sich das Wasser gut zwei Meter von jenem Punkt am Deich zurückgezogen, der nicht nur dem Wirt, sondern auch anderen Dagebliebenen als Anhaltspunkt fürs Hoffnungschöpfen dient. Denn für Prester wurde, wie für alle anderen Magdeburger Stadtteile östlich der Elbe auch, am Sonntag die Evakuierung angeordnet. Rund 15 000 Menschen waren betroffen.
„Wir haben nur die Eltern weggebracht“, sagt Rieffenberg. Wie lange sein Restaurant noch geschlossen bleiben muss, weiß er nicht. Er wird etwa 20 000 Euro Einnahmen verlieren. „Die großen Feiern eben“, sagt er.
Neben der Kirche treten zwei Herren an den Deich. Der Schriftzug auf den dunkelblauen T-Shirts weist sie als Mitarbeiter des städtischen Ordnungsamtes aus. An der Absperrung bleiben sie stehen. „Wir schauen punktuell, dass niemand die Deiche betritt“, sagen sie. „Wir kennen da kein Pardon.“
Ohne mit der Wimper zu zucken nehmen sie von uneinsichtigen Spaziergängern und Radfahrern die Personalien auf und leiten ein beschleunigtes Bußgeldverfahren in die Wege, wie sie erklären. Wild entschlossen, „ihre“ zwei Kilometer Deich in Magdeburg-Prester mit allen Mitteln zu beschützen.
Seit die Stadt die Räumung ihrer östlichen Teile wegen drohender Deichbrüche und Überflutungen angeordnet hat, haben mehrere Tausend Anwohner Zuflucht bei Verwandten, Bekannten oder in Notunterkünften gefunden.
An vielen Häusern in Cracau oder Prester sind die Rollläden unten, Sandsäcke wurden in die Kellerfenster gepresst und manchmal sogar in die Fenster der ersten Etage. Der Supermarkt hat geschlossen, eine Bankfiliale ist mit schwarzer Folie verklebt, und die Apotheke ist ein einziger Sandsackwall. Die Befürchtungen der Menschen müssen immens gewesen sein. Und trotzdem sind einige geblieben. Sie stehen an den Ecken, schwatzen oder fahren Fahrrad.
Weiter in Richtung Stadtzentrum ist es mit der Stille vorbei. Im ostelbischen Stadtteil Brückfeld hat die Kreisfeuerwehrbereitschaft Schaumburg (Niedersachsen) am Samstag mit vier Zügen und 135 Kameraden Stellung bezogen. Pumpen laufen seitdem im Akkord und transportieren die braune Flüssigkeit aus den Straßen in die Alte Elbe zurück.
Unter einem Pavillon schlafen zwei Kameraden, an einem Stück Maschendrahtzaun werden auf einer Länge von mehreren Metern Handtücher, Socken und Gummistiefel getrocknet. „Eine Hälfte ruht, die andere arbeitet“, sagt Sprecher Jens Thürnau. „So haben wir uns eingetaktet und sogar ein wenig häuslich eingerichtet.“
Das Hauptaufgabengebiet der Schaumburger Truppe ist die Turmschanzenstraße, die direkt an der Elbe entlang führt und in der unter anderem das Kultus-, Sozial- und Verkehrsministerium Sachsen-Anhalts ihren Sitz haben. „Am Wochenende haben wir 25 000 Liter pro Minute zurückgepumpt“, sagt Thürnau. „Wir kamen an, und einige Kameraden haben dann 36 Stunden durchgearbeitet.“
Freiwillige Helfer haben einen unvorstellbaren Wall aus Sandsäcken in der Straße aufgetürmt. „Die haben alle mit uns gemeinsam bis zur Erschöpfung gearbeitet. Überhaupt ist der Zusammenhalt der Menschen und die Hilfsbereitschaft eine Sache, die uns immer noch tief beeindruckt.“
Und das beruht auf Gegenseitigkeit. Am Geländer der Strombrücke, die aus dem Zentrum in die östlichen Stadtteile Magdeburgs führt, hat jemand ein Bettlaken gehängt. Darauf steht: „Dank euch Helfer!“