Report: Nicht alle wollen nach Deutschland

Röszke/Ungarn (dpa) — Die triste Wirklichkeit der Flüchtlingslager im ungarischen Grenzdorf Röszke hält überraschende Begegnungen bereit. Etwa mit den zwei syrischen Frauen, die mit Kopftuch und Sonnenbrille selbstbewusst ihren Weg gehen - und so schick unbedingt fotografiert werden wollen.

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Oder die 22-jährige Steer, die mit ihrem Outfit in keinem Berliner oder Frankfurter Club auffallen würde. Was gibt ihr noch die Kraft zu lächeln? „Das ist nicht mein Herz, das lächelt, das ist nur mein Gesicht. Erst wenn ich meine Mutter in Dänemark wiedersehe, kann ich auch mit dem Herzen lächeln.“

Sie alle haben sich auf den Weg gemacht, hinaus aus dem Bürgerkrieg, der nicht ihrer ist, hin zu einer neuen Zukunft. Niederlande, Dänemark, Schweden, Finnland — nicht immer ist es Deutschland, wo sie hin wollen. Sie sind über die Zustände in ihren Zielländern genau unterrichtet. So hat Steer auch schon davon gehört, dass die Dänische Volkspartei mit ihren fremdenfeindlichen Positionen großen Zulauf hat. Aber das schreckt sie nicht. Lächelnd erzählen sie und ihr drei Jahre älterer Begleiter Mohammad von ihrer langen und harten Reise und wie sie in den türkischen Wäldern besonders gelitten haben.

Jetzt haben sie Halt gemacht am Stacheldrahtzaun, den Ungarn an seiner Südgrenze zu Serbien aufgebaut hat, zögern auf ihrem weiteren Weg. „Wir haben Angst vor Ungarn“, sagt Mohammad. „Wir wollen nicht ins Lager und unsere Fingerabdrücke nehmen lassen.“

Die „Fingerprints“ sind für alle ein Horror. Sehr genau wissen sie Bescheid über das Dublin-Abkommen, das jeden Flüchtling in dem EU-Land festhalten will, in dem er oder sie zuerst ankommt. Und das ist bei einer Registrierung in Röszke eben Ungarn. „Wir haben Angst vor Ungarn“, sagt Mohammad.

Ähnlich geht es Ahmad Tauweer, der mit Freunden aus Syrien geflohen ist. Sie verweigern sich der Registrierung, die die Polizisten in Röszke erzwingen wollen. Der eine hat eine Schwester in den Niederlanden, der andere will nach Finnland: „Ich habe gehört, dass da die Menschenrechte einen besonders hohen Stellenwert haben. Und dass man dort sehr schnell eingebürgert werden kann.“

Ja, Deutschland sei auch gut, vielleicht für einen Besuch. Dann lachen alle über ihren ersten Gedanken bei Deutschland: „Angela Merkel gut!“ Und dabei recken sie den Daumen hoch.

Nach Schweden will ein 36-jähriger Flüchtling aus der syrischen Grenzstadt Kobane, dort habe er Freunde und Verwandte. Ein 17-Jähriger aus der afghanischen Stadt Herat weiß nur, dass er auf keinen Fall in Ungarn bleiben will: „Die Polizisten benehmen sich sehr schlecht, sie schubsen uns dauernd herum.“

Ja, er habe davon gehört, dass Flüchtlinge mit Gewalt dazu gezwungen worden seien, ihre Fingerabdrücke registrieren zu lassen, sagt der Europa-Chef des Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Vincent Cochetel, bei einem Gespräch im feinen Interconti-Hotel in Budapest. „Aber es ist auch nicht einfach für die Polizei, wenn Flüchtlinge nicht kooperieren wollen.“ Er sei zwar besorgt über manche Berichte aus Röszke. Aber insgesamt mache die ungarische Polizei ihre Sache doch gut.

„Es gibt kein Recht, in einem bestimmten Land wie Deutschland aufgenommen zu werden“, sagt Cochetel. Die Aussage des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban aber, dass die Flüchtlingskrise eigentlich kein ungarisches, sondern ein deutsches Problem sei, findet der UNHCR-Direktor nicht gut: „Die deutsche Bevölkerung hat wirklich viel Solidarität gezeigt“, sagt Cochetel. Auch in Österreich und anderen Ländern sei das spürbar. Aber es sei nicht möglich, dass nur einige wenige Länder dafür zuständig seien: „Wir brauchen einen robusten, kollektiven und mutigen Ansatz zur Lösung der Probleme.“

Bislang ist das UNHCR vor allem in Entwicklungsländern tätig. Die Länder rund um Syrien hätten so viel mehr Flüchtlinge aufgenommen als Europa, mahnt Cochetel und rückt die Verhältnisse zurecht: „Die
250 000 Kriegsflüchtlinge aus Syrien, die Europa bis Ende vergangenen Jahres aufgenommen hat, nimmt die Türkei alle zwei Wochen auf.“ Wenn alle Beteiligten in Vertrauen und gutem Willen zur Zusammenarbeit bereit seien, könne die Flüchtlingskrise auch gelöst werden.