Report: Orlando trauert um die Toten
Orlando (dpa) - Auf einmal herrscht für einen kurzen Moment Stille. Sie wird jäh unterbrochen von einem Glockenschlag. Und dann noch einem.
Am Ende sind es 49 an der Zahl - ein Glockenschlag für jedes unschuldige Opfer, das bei der Terrorattacke am Wochenende in Orlando vorzeitig aus dem Leben gerissen wurde.
Mehrere tausend Menschen haben sich am Montagabend im Zentrum der Stadt versammelt, um an sie zu erinnern. Die Dämmerung bricht langsam herein, der Geruch von unzähligen brennenden Kerzen liegt in der Luft. Menschen umarmen sich. Die Stimmung geht unter die Haut.
Die Trauernden in Orlando sind nicht allein. Im ganzen Land versammeln sich die Menschen am Montag, um der Opfer zu gedenken. Auf der ganzen Welt brennen Kerzen für die Toten, auch in Berlin.
Es ist ein Gedenken an die, die in der Nacht zum Sonntag in dem Club für Schwule und Lesben fröhlich feierten, als der 29-jährige Omar Mateen das Feuer auf sie eröffnete - und den folgenschwersten Terrorakt in den USA seit den Anschlägen vom 11. September 2001 verübte.
„Sie waren Freunde und Nachbarn“, sagt ein Redner auf der Bühne in Orlando. „Sie waren Partner und Partnerinnen. Aber vor allem waren sie Menschen.“
Xavier Emmanuel Serrano Rosado war einer von ihnen. Er erlag später im Krankenhaus seinen Verletzungen - und hinterlässt einen kleinen Sohn. Ein Foto zeigt sein Lächeln: Frankie Arroyo trägt das Bild seines Freundes vor der Brust. „Er war so voller Energie“, sagt der 27-Jährige. „Ich habe ihn im Pulse kennengelernt. Da habe ich ihn auch zum letzten Mal gesehen.“ Nicht am Wochenende sei das gewesen, sondern an einem anderen Tag. „Ich habe zu ihm gesagt: „Schön, Dich zu sehen!““ Der junge Mann kämpft mit den Tränen.
Überall sind die Farben des Regenbogens zu sehen. Menschen tragen bunte Schilder mit Botschaften wie „Liebe siegt“ und „Orlando ist stärker“. Die von so manchen Mitmenschen offen angefeindete Minderheit der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender der Stadt hat noch einen Grund zur Trauer: Ihnen wurde mit dem Attentat auch ein Rückzugsort genommen, ein Raum, in dem sie sich sicher fühlten.
Dass viele Nachbarn, Kollegen und Fremde mit ihnen zusammen den Schrecken verarbeiten, ist nicht selbstverständlich. Florida liegt im sogenannten Bibel-Gürtel der USA, jenem Gebiet, in dem der evangelikale Protestantismus tief verwurzelt ist. Städte wie Miami und Orlando sind zwar liberaler als die ländlichen Regionen, aber die LGBT-Gemeinde fühlt sich isoliert, zumindest nicht vollständig akzeptiert.
Oben auf der Bühne werden die Namen der Toten vorgelesen, einer nach dem anderen. Der Name des Täters, der sich auf die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) berief, bleibt unausgesprochen. Er fällt an diesem Abend kein einziges Mal.
Ein Chor singt „True Colours“. Muhammad Musri, ein örtlicher Imam, ruft die muslimischen Gemeinden im ganzen Land dazu auf, sich von der Gewalttat zu distanzieren. Sein Appell: „Wir müssen dieses Krebsgeschwür Terrorismus bekämpfen.“
Unten im Publikum steht Teslee Makan. Die 17-Jährige hat sich Blumen um ihr Kopftuch gewickelt. „Wir sind hier, um ein Zeichen für Frieden zu setzen“, sagt sie. „Die LGBT-Community zählt genau wie die muslimische Gemeinschaft zu den Minderheiten in den USA. Deshalb ist es wichtig, dass wir zusammenstehen, um auch deutlich zu machen, dass die Taten eines Einzelnen nicht für eine ganze Gruppe stehen.“
Als die Glockenschläge verstummt sind, stimmt der Chor ein neues Lied an. Die Klänge von „Let it Be“, dem Beatles-Song, hallen durch die Nacht.