Report: Wenn zwei Bäche zum Strom werden
Braunsbach (dpa) - Michael Knaus arbeitet seit 1984 für den Katastrophenschutz. Aber solche Bilder wie in der Nacht zum Montag in dem kleinen Ort Braunsbach schocken auch den Ersten Landesbeamten des Landkreises Schwäbisch Hall.
„Ich habe so etwas noch nicht gesehen“, sagt er am frühen Morgen während einer eilig einberufenen Pressekonferenz in der Feuerwache im benachbarten Schwäbisch Hall.
Braunsbach ist kaum mehr wiederzuerkennen. Zwei Bäche haben sich in einen reißenden Strom verwandelt. Bilder und Filme im Internet zeigen, wie Wassermassen durch den 900-Einwohner-Ort peitschen und alles in ihrem Weg mit sich reißen. Baumstämme werden durch die Straßen gespült und bohren sich in Hauseingänge. Autos werden an Hauswände gedrückt, Fensterscheiben eingedrückt. Der zerstörte Überrest eines Wagens steht da - er ist mit Schlamm, Geröll und Unrat aus Pflanzenresten bedeckt, die Motorhaube ist weggerissen.
Noch Stunden später stehen die Feuerwehrleute bis zu den Knien im Wasser. In der Nacht zum Montag versuchen rund 150 Kräfte von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk und Rotem Kreuz, sich einen Überblick von der Lage zu verschaffen. Mindestens ein Haus in Braunsbach-Steinkirchen ist völlig zerstört, dort wurden auch zwei Brücken weggerissen. Viele Häuser sind einsturzgefährdet und deshalb unbewohnbar. Sie sollen evakuiert werden, doch teilweise weigern sich die Menschen, ihre Wohnungen zu verlassen, wie Katastrophenschützer Knaus sagt. Strom, Wasserversorgung und Abwassersystem funktionieren in dem Ort nicht mehr.
Am frühen Morgen steht Luis Molina vor seinem Haus in der Ortsmitte. Das Wasser ist weg, aber die Schäden sind da. Die Glasscheibe in der Haustür ist zertrümmert - an den Mauern sieht man die Wasserspuren. „Da ist meine Wohnung“, sagt er und zeigt nach oben in den ersten Stock. Er sei am Sonntag im Internet gewesen, habe sich noch über den vielen Regen gewundert, als er ein Krachen gehört habe. „Dann stand hier schon ein halber Meter Wasser“ sagt der junge Mann und zeigt auf die Straße. Es sei bis auf einen Meter gestiegen.
Seine betagte Mieterin, ihn selbst und seinen Cousin habe man über eine hochgefahrene Baggerschaufel, in die sie klettern mussten, aus dem Haus geholt. Die Garage im Erdgeschoss ist nun voller Dreck, doch im ersten und zweiten Stockwerk des Gebäudes sei alles heil.
Ein paar Meter weiter begutachtet eine 44 Jahre alte Braunsbacherin die Schäden im Ort. Sie selbst wohnt weiter oben im Tal. „Ich bin um halb elf ins Bett gegangen und habe nichts mitgekriegt“, erzählt sie vom Sonntagabend. Dass der Orlacher Bach manchmal laut tose, sei schließlich normal. Am Montagmorgen schaltet sie das Radio ein und hört dort von Braunsbach. Mit ihrem Sohn geht sie in den Ort - und traut ihren Augen nicht. „Chaos, einfach Chaos“, sagt sie und blickt auf das, was früher der Marktplatz war.
Hier verläuft der Orlacher Bach eigentlich unter der Straße. Nun haben die Wassermassen sie weggesprengt. Andere Dorfbewohner schlagen entsetzt die Hände vor ihre Gesichter, als sie die Ortsmitte mit den aufgerissenen Straßen, den Bergen aus Geröll und Schlamm und den kaputten Häusern sehen.
Trotz des beträchtlichen Sachschadens ist in Braunsbach zunächst nichts von Verletzten oder gar Toten bekannt. Menschen seien zwar in Gebäuden erst vom Wasser eingeschlossen gewesen, erklärt Knaus. Sie konnten aber schließlich in Sicherheit gebracht werden.
Andernorts in Baden-Württemberg geht das Unwetter für die Menschen nicht so glimpflich aus. In Schwäbisch Gmünd kommt nach Behördenangaben ein Feuerwehrmann bei einem Bergungsversuch ums Leben. Auch die Person, die er retten wollte, ist tot. In Weißbach im Hohenlohekreis stirbt ein Mensch in einer überfluteten Tiefgarage.
Woher kommt urplötzlich all das Wasser? Das fragt man sich auch in Braunsbach. Der Schlossbach und der Orlacher Bach, die in den Fluss Kocher münden, sind eigentlich relativ klein und unscheinbar. Doch sei in den vergangenen Stunden so viel Regen pro Quadratmeter gefallen wie sonst in mehreren Monaten, sagt Knaus.