Report: Wiedersehen mit „Gerd“
Berlin (dpa) - Acht Jahre war der „Basta“-Kanzler weg. Jetzt muss sich Sigmar Gabriel plötzlich sputen.
Gerhard Schröder, der verbittert über Kritik und Ablehnung seiner Reformagenda 2010 einen Bogen um die Partei machte, hat gerade 17 Minuten gesprochen. Kaum fertig, eilt der Altkanzler vom Rednerpult zurück zu seinem Platz in der ersten Reihe.
Während die etwa 600 Delegierten begeistert klatschen, springt Gabriel von seinem Stuhl auf dem Podium auf, um „Gerd“ Schröder zu erwischen. Sie schütteln sich die Hände. Dann fallen sich die beiden Niedersachsen und Machtmenschen in die Arme. Der SPD-Parteitag in Berlin ist am Donnerstag keine Stunde alt, da hat er sein erstes symbolträchtiges Bild.
Eine echte Aussöhnung zwischen Schröder und der SPD ist das längst nicht - aber ein Schritt in diese Richtung. Gabriel wollte den 71-Jährigen, der vor zehn Jahren die Macht an Angela Merkel verlor, bereits im Januar 2014 zu einem Parteitag locken. Schröder zierte sich. „Die Verletzungen auf beiden Seiten sind noch nicht genügend überwunden“, schrieb er an Gabriel.
Dann starben im April Günter Grass, im August Egon Bahr und im November Helmut Schmidt. Drei ganz Große aus der SPD-Familie. Gabriel bat Schröder, die Würdigung zu übernehmen. Dieses Mal sagte er Ja.
Der Tod dieser drei Männer, die nach den Schrecken des Krieges so viel für Frieden und Freiheit in Deutschland und Europa getan hätten, rufe der Partei in Erinnerung, „was uns Sozialdemokraten im Kern zusammenhält“, sagt Schröder. „Ihr Antrieb lautete, ohne Frieden ist alles nichts.“
Dabei nutzt Schröder die Gelegenheit, seiner SPD noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, was er selbst als Kanzler geleistet hat. Grass habe gefallen, wie Rot-Grün von 1998 bis 2005 die erstarrte deutsche Gesellschaft durchlüftet habe. Und auf das Nein zum Irak-Krieg sei der Schriftsteller und SPD-Freund auch sehr stolz gewesen, lobt sich Schröder selbst.
Zur Flüchtlingskrise, die auch in den Reihen der SPD viele verunsichert, sagt er direkt nichts. Aber Schröder lässt durchblicken, dass ein Helmut Schmidt wohl anders als eine Angela Merkel agiert hätte. „Nie hat er gezögert. Immer hat er schnell, entschlossen und vor allem verantwortungsvoll gehandelt.“ Schmidt („Ein wahrlich großer Kanzler“) sei sich der Tragweite seines Handelns stets bewusst gewesen.
Im Kalten Krieg habe Schmidt gegen große Widerstände in Gesellschaft und SPD den Nato-Doppelbeschluss zur atomaren Aufrüstung durchgedrückt. „Er war bereit, das Wohl des Landes über das Wohl der Partei zu stellen. Eine schwierige, eine mutige, im Ergebnis eine richtige Entscheidung. Aber eben auch eine Entscheidung, die einsam macht“, sagt der Agenda-Kanzler - und jeder im Saal weiß, das ist ein Blick in Schröders verletzte Seele.
Mehr kommt vom einstigen Genossen der Bosse und Putin-Versteher nicht, sieht man von der erwartbaren Ermunterung für Sigmar Gabriel ab. Dessen Mitte-Kurs sei richtig und verdiene Unterstützung. Wie groß die ist, wird sich am Freitag zeigen, wenn der Parteitag über den Goslarer abstimmt. Vor zwei Jahren bekam Gabriel relativ magere 83,6 Prozent. Nun muss es mehr werden. Würde er schlechter abschneiden, könnte Gabriel das Rennen ums Kanzleramt 2017 gleich abblasen. Das wissen auch die Delegierten in Berlin. Obwohl es einige gibt, die lieber Frank-Walter Steinmeier ein zweites Mal zum Kanzlerkandidaten küren würden.
Der redet nach Schröder, macht wie der Altkanzler seiner im 25-Prozent-Umfrage-Turm gefangenen Partei Mut. Die SPD sei die einzige Kraft, die entschlossen und besonnen auf die Flüchtlingskrise und den islamistischen Terror reagiere. „Ich bin heilfroh, dass wir uns nicht wegducken als Sozialdemokraten“, ruft der Außenminister. Im Stil eines Parteichefs lobt er seine Kabinettskollegen, auch Gabriel, der sich am Donnerstag noch ziemlich rar macht: „Du sorgst dafür, dass diese SPD Motor und Anker in dieser Koalition ist“, würdigt Steinmeier den zuweilen sprunghaften Parteichef. Ob es für ein 90-Prozent-Ergebnis reicht, wird Gabriel am Freitag wissen.