Hintergrund Schulz, Scholz und die GroKo: Fünf Lehren des SPD-Parteitags
Berlin (dpa) - Mitten in einer tiefen politischen Krise hat die SPD versucht, ihren Kurs für die Gespräche über eine mögliche erneute große Koalition abzustecken. „Wir müssen nicht um jeden Preis regieren.
Aber wir dürfen auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen“, sagt SPD-Chef Martin Schulz.
Fünf Lehren des Parteitags:
SCHULZ UMSTRITTEN: Zwar erzielt der Vorsitzende mit 81,9 Prozent ein achtbares Ergebnis, aber gerade in der Parteiführung gibt es Zweifel an seinen Führungsqualitäten. Auch bei Delegierten kam Misstrauen zum Vorschein, weil Schulz nach der Bundestagswahl und nach dem Aus der Jamaikaverhandlungen zweimal klipp und klar eine Beteiligung an einer großen Koalition ausgeschlossen hat. Zudem betonte er, er werde nicht als Minister in eine Regierung von Angela Merkel eintreten. Schulz selbst sieht sich gestärkt, viele halten das für seine Sicht.
SCHOLZ ABGESTRAFT: Hamburgs Regierungschef ist seit Jahren in Lauerstellung, schon mehrfach stand er kurz davor, die Macht in der Partei zu übernehmen. Mit Strategiepapieren und Kritik an Schulz brachte er seinen Unmut über den aktuellen Kurs zum Ausdruck. Er hat gezeigt, dass er Wahlen gewinnen kann, und anders als Schulz wird er von der Wirtschaft geschätzt. Nun bekam er bei der Wahl der Vizes nur 59,2 Prozent. Dennoch bleibt er ein Kandidat für die Übernahme der Kanzlerkandidatur bei Neuwahlen - da viele mit Schulz als Kandidat nach den 20,5 Prozent im September einen weiteren Absturz fürchten.
KEIN KLARER KURS: Ein Ja zu „ergebnisoffenen Gesprächen“ - aber was die SPD bei den Gesprächen mit der Union erreichen will, ist unklar. Am meisten gefürchtet werden Neuwahlen, die der ältesten demokratischen Partei in Deutschland den Super-GAU bescheren könnten: überholt zu werden von der rechtspopulistischen AfD. Führende Genossen wie die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Bayerns SPD-Chefin Natascha Kohnen lassen eine klare Präferenz für eine Minderheitsregierung von Angela Merkel erkennen - dann wäre man quasi aber in Dauerverhandlungen, um Mehrheiten für Projekte abzusichern.
GROKO-VERDRUSS: Schulz weiß, dass er bei Neuwahlen womöglich nicht als Kanzlerkandidat antreten wird und auch als SPD-Chef abgelöst werden könnte - seine 180-Grad-Kehrtwende hängt nach Meinung der Kritiker auch damit zusammen, dass er erkannt hat, dass eine GroKo vorerst seine politische Lebensversicherung wäre. Er betonte, es gebe keinen Automatismus Richtung Koalition. Zwar scheiterten die Jusos deutlich mit dem Antrag auf einen GroKo-Ausschluss, aber der Widerstand ist enorm. Viele Delegierte betonen, dass die SPD nach jeder GroKo mit Merkel danach deutlich verloren hat. Für die Gespräche wurden elf Leitlinien formuliert, von Europa stärken über eine Rentenreform und Milliardeninvestitionen in die Bildung bis hin zu einem besseren Pflegesystem.
SPD ERNEUERN: Die SPD habe ein Zutrauens- und Wahrnehmungsproblem. „So wurden die sozialen Erfolge der großen Koalition nicht mit der SPD verbunden“, heißt es. Unter Führung des neuen Generalsekretärs Lars Klingbeil beginnt ein Prozess der Modernisierung - mit Online-Foren, Antworten auf den Wandel durch die Digitalisierung, die Herausforderungen durch den Flüchtlingszuzug, mit Reformen für Europa und mehr Mitbestimmung der Basis, zum Beispiel einer Wahl des Vorsitzenden durch die 440 000 Mitglieder. Zudem wird eine „Ost-Offensive“ gestartet, auch mit einem Ostbeauftragten, da die AfD in Ostdeutschland vielerorts schon stärker ist und ganze Regionen zur SPD-Diaspora geworden sind.